31 Okt, 2010

Föhnscheitel treffen Kratzbürsten

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Bisher waren die Utopia-Konferenzen übersichtlich. Sehr viele blonde, gescheitelte nach Milch und Seife riechende Jungs mit Öko-Zertikat. Diesmal war die Utopia-Konferenz dagegen Testosteron pur, denn die Macher wagten eine Liaison zwischen den Föhnscheiteln und den Kratzbürsten. Konsum traf auf Aktionismus, Wirtschaft auf Straßenmädchen und -jungs. Und ganz ohne Bannmeile dazwischen.

Für mich persönlich kam es überraschend zu einer Begegnung der besonderen Art, als ich am Vorabend der Konferenz beim Utopia-Salon im Soho House auf Tchibo-CSR-Chef Achim Lohrie traf, meinen Kontrahenten von einst. Wir haben uns beide erschrocken und ich kann von meiner Seite aus von einem absolut netten Abend sprechen. Schon für dieses Gespräch war Berlin eine Reise wert.

Politisch betrachtet zeigte sich, dass sich der alten Gegensatz zwischen Rechts und Links auflöst. Es geht definitiv darum, wer zukunftsfähig ist, egal welcher Partei man sich zugehörig fühlt. Und eigentlich gibt es sowieso auf jeder Seite solche und solche – das wissen wir doch schon lange, oder?

Mein Herz gehörte am ersten Tag der Konferenz dem großen, alten Mann der Biobaumwolle: Patrick Hohmann von der Schweizer Remei AG, die dem Handel mit Textilien ein ehrliches Gesicht geben. Hohmann sagte, es sei ihm immer darum gegangen, „ein starker Partner für diejenigen zu sein, die in Not sind“ – wie etwa die Baumwollbauern in Indien oder Afrika. Letztendlich sprach er über Solidarität und das scheint mir auch heute das Gebot der Stunde.

Am wenigsten hat mir deshalb die Präsentation von US-Werbeikone Cindy Gallop gefallen, die die Internet-Plattform „If we ran the world“ vorstellte. Hier geht es darum, sich mit „Mikro-Aktionen“ zu beteiligen und die eigenen guten Absichten in konkretes Handeln umzusetzen. So weit so gut.

Und weil es um „Arbeit“ geht und darum, „sich die Hände schmutzig zu machen“, hat Gallop mit Jeanshersteller Levi´s einen Sponsoren gewonnen, den die Menschen mit Arbeitskleidung verbinden. Levi´s  – so denke ich – hofft also, dass die Aktionisten denken, man solle die richtigen Sachen auch in der richtigen Jeans tun.

Was für ein Quatsch. Zumal für diese Jeans, in denen die US-Amerikaner jetzt die Welt retten sollen, andere schuften mussten. Und von Eco-Levis für alle, habe ich nichts gehört. Ich empfinde diese angebliche Solidaritätsaktion (gemeinsame Aktionen für die Rettung der Welt) als zutiefst unsolidarisch.

Levi´s – und das gilt für alle Firmen – sollte erst mal das Produkt in Ordnung haben, bevor sie mit Charity-Aktionen beginnen. Das wäre dann doppelt gut. Ich werde meine Zeit nicht mit Web 2.0-Plattformen verschwenden, die gut gemacht, aber nicht gut durchdacht sind.

Am Abend durfte ich als Laudatorin den Utopia-Sonderpreis für alle Aktionisten vergeben, die dieses Jahr auf der Straße waren. Gemeinsam mit dem Soziologen Harald Welzer (Credo: Werdet politisch!) habe ich im Publikum um Handzeichen gebeten, wer 2010 den Aktivisten in sich entdeckt hat und dann einen gewählt, der die Urkunde stellvertretend für alle entgegen nimmt. Daniel Kruse („Icke soll kommen?“), den ich mit Bühnenehre überhäufte, hat die Idee genial weiter entwickelt und aus dem Preis einen Wanderpokal gemacht, der jetzt von Aktionist zu Aktionist geschickt wird. Klasse Idee, Daniel!

Natürlich habe ich auch wieder versucht, Männer umzuziehen. Zielscheibe meiner Aktion war der Schauspieler Hannes Jaenecke, der ganz schwarz gekleidet wirklich vom Leder zog, was seinen Einsatz für die Umwelt angeht. Leider tut er das zur Zeit noch in Levi´s-Jeans und Armani-Hemd, was er freimütig einräumte. Mal sehen, ob sich daran was drehen lässt. Wahrscheinlich hat er mich für die bankrotte Besitzerin eines Ökomode-Ladens gehalten – ich hatte jedenfalls Spaß.

Vielleicht schicke ich ihm eine Einkaufsliste. Schließlich will er nach eigenem Bekunden die Firmen unterstützen, die das Richtige tun. Und das macht er durchaus massenwirksam im Fernsehen. Und übrigens angenehm kratzbürstig.

P.S. Am Rande der Konferenz traf ich den H&M-Pressesprecher Hendrik Alpen, der nach Stockholm in die Zentrale geht. Es wird also der Job des CSR-Referenten bei H&M frei – hier die Stellenausschreibung!

     
 Kirsten   Kirsten Brodde, Blog-Gründerin und Autorin von "Saubere Sachen", hat das Thema Ökomode quasi aus dem Nichts entwickelt. Sie arbeitet als Greenpeace Detox-Campaignerin bei Greenpeace Deutschland.

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Veröffentlicht in: News|Tipps

3 Kommentare auf "Föhnscheitel treffen Kratzbürsten"

1 | Matthias Hebeler

November 1st, 2010 at 12:01

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Liebe Kirsten,

herzlichen Dank für diesen erfrischenden Blog. Es macht einfach Spaß von Dir zu lesen.

Hannes Jaenecke finde ich als Schauspieler mega sympathisch, als Mensch durfte ich ihn noch nicht kennenlernen.
Übrigens liegt mein Fokus was das korrekte Kleiden Prominenter angeht auf Rainhard F. aus Wien. Nach seinem neuen Album „Meine Zeit“ geht es halt gar nicht, dass er noch immer mit konventionellen Hemden auf der Bühne steht – aber wir arbeiten daran.

Während Du in Berlin warst war ich, etwas provinzieller, in Kassel, auf der Lamdesmitgliederversammlung der hessischen Grünen. Boris Palmer, der Tübinger OB, hatte einen coolen, ökologisch aber höchst bedenklichen cyanblauen Polyester-Anzug an. Auch da geht es also noch besser.

Liebe Grüße nach Hamburg und vielen Dank für den Blog. Matthias

2 | Kirsten

November 1st, 2010 at 21:50

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@Matthias: Wir „verhüllen“ noch alle Promis ökologisch optimal! Vielen Dank für deinen Einsatz.

Zu den Utopia-Awards netter Beitrag und viele Bilder bei
http://www.modeaffaire.de

3 | Sina

November 9th, 2010 at 19:36

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KLasse Artikel, liebe Kirsten.
Ja, das mit Hannes Jaehnicke ist mir auch aufgefallen – in Armani die Eisbären retten. Ich war darauf hin so frei und habe ihn via PR-Zuständige kontaktiert und ihn gefragt, ob er das künftig nicht im Klimaretter-Parka (interessant in Sachen Klimaschutz und CO“-Ersparnis, weil fränkische Merinoschurwolle – sprich keine 300 Kilometer auf dem Kleidungsstück) machen möchte. Aber ihm ist Armani lieber.
Mir zeigt es (wieder einmal), dass Nachhaltigkeit, Klimaschutz, Ökologie, Soziales Blabla ein seeehr weites Feld ist – man gerne darüber spricht, aber nur die wenigsten bereit sind, auch danach zu handeln. Dennoch gebe ich die Hoffnun nicht auf und denke: es werden mehr.
Liebe Grüße
Sina