01 Jul, 2010
Bio – und weiter?
Während gestern der Bundespräsident gewählt wurde und über 1000 Menschen zehn Stunden im Bundestag verharrten, um drei einfache Kreuze zu machen, traf sich die Ökomode-Szene auf Einladung des Internationalen Verbandes der Naturtextilhersteller zum Gedankenaustausch in der Berliner Kalkscheune.
Deutlich war das Bemühen zu spüren, das Thema nicht nur ideenlos zu verwalten, sondern neue Akzente zu setzen. In einer Zeit, wo sich die junge Ökomode auf dem aufsteigenden Ast befindet, möchten auch die Naturtextilhersteller der ersten Stunde nicht uninspiriert und veraltet wirken. Man sucht ein Drehbuch für die Zukunft. Gleich vorneweg: das ist mit dem Green Forum gelungen, auch wenn die junge Szene nicht da war, was verständlich ist, denn sie bereiten sich unisono auf nächste Woche vor: dann startet die Berliner Modewoche.
Und dann werde ich noch eine ausreichende Dosis von Trends zu sehen bekommen (Öko-Gladiatorsandalen etc.), die neuen Kollaborationen bewundern (Supermodel Eva Padberg entwirft für die Armedangels) und die Firmen, die mit Riesenbohei neu einsteigen (Möbelhersteller Grüne Erde aus Österreich macht nun auch das Kleid zum Schrank und zeigt sich im Green Showroom). Die Gerüchteküche spricht davon, dass die Macher von Stewart&Brown aus Kalifornien kommen (mein erstes Ökoshirt!!). Aber bevor ich mich leidenschaftlich der Oberfläche zuwende, ging es in Berlin um die inneren Werte der Ökomode.
Was kommt nach bio? Was sind Carbon- und Waterfootprints? Können wir bei Naturfasern bleiben? Brauchen wir Siegel oder nicht? Wie verankern wir die Menschenrechte in der Mode besser? Was leistet eigentlich die Politik? Solche Fragen bewegten das Publikum.
Die drei Grußworte der Politik setzten recht unterschiedliche Akzente. Immerhin: alle wussten, dass die Ökomode nicht mehr zur „Fraktion Goldstaub“ gehört, soll heißen, es gibt nur wenig Gutes, sondern Fahrt aufgenommen hat. Und dass rücksichtsvolles Wirtschaften generell ein Zukunftsthema ist. Umweltschutz ist aber offenbar weiter als Menschenschutz. Dass der Export von sozialen Standards in die Textilindustrie weithin gelungen ist, bezweifelten etliche Vertreterinnen der Kampagne für Saubere Kleidung – angeführt von Bettina Musiolek, die die Veranstaltung sicher und souverän moderierte.
„Wer hier gutes Geld verdient, soll auch etwas leisten und nicht mit den Schultern zucken, wenn es um seine Lieferanten geht“, assistierte Nicole Maisch, Verbraucherschutzexpertin von Bündnis 90/Die Grünen. Sie möchte, dass die Opfer von Menschenrechtsverletzungen hierzulande gegen verantwortungslose Firmen klagen können und die Verbraucher mehr Auskünfte von Unternehmen erhalten als bisher. Die Botschaft höre ich gerne, allein: die Grünen haben derzeit nichts zu sagen. Frau Maisch erklärte, dass die „Töpfe für Verbraucheraufklärung“ unter der CDU/FDP-Regierung entscheidend an Volumen verloren hätten.
Ich merke immer, wie ungeduldig ich geworden bin und endlich voran kommen möchte mit Standards, Siegeln und Co. Aber irgendwie grillen wir immer noch mit Holzkohle und haben keinen modernen Gasgrill mit Partikelfilter – die Instrumente gerade, was die Kontrollen von Sozialstandards angeht, scheinen antiquiert und erstaunlich erfolglos. Für mich ist es deshalb bedeutsam, dass Bettina Musiolek weiter darauf setzt, Ansätze von verschiedenenen Multi-Stakeholder-Organisationen wie SA 8000, FLA oder FWF zu harmonisieren, aber auch neue Werkzeuge auszuprobieren. Neben Sozialaudits setzt Musiolek beispielsweise auf Trainings und Dialogprozesse von Managern und Arbeitern vor Ort. Es ist einfach der Versuch, mehr Pfeile im Köcher zu haben als bisher. Dazu gehören nach Meinung anderer wohl auch Lieferantenreportings statt klassischer Sozialaudits.
„Wir hätten immer gerne alles persilweiß“, resümierte Karl Borgschulze von Systain aus Hongkong. Aber was Textilproduktion anginge, gebe es immer schwarze und weiße Punkte auf der Liste. Ehrlich gesagt, kann ich gut damit leben, wenn Unternehmen klar sagen, wo sie stehen und was sie schon leisten können und was nicht. Ein gutes Beispiel dafür sind die „Footprint Chronicles“ von Patagonia.
Für mich persönlich war besonders die Debatte um die grünen Darlings bei den Fasern interessant, da sich der Weltfaserbedarf nicht allein mit Biobaumwolle decken lassen wird (derzeit knapp ein Prozent der Baumwollproduktion). Ich setze inzwischen auch auf Viskose (Modal und Tencel von Lenzing aus Österreich, produziert in Österreich) und stehe auch Kunstfasern für Funktionskleidung aufgeschlossen gegenüber. Peter Waeber von Bluesign aus der Schweiz erklärte eindrucksvoll, wie viel Wasser und Energie – also wertvolle Ressourcen – sich in der Textilproduktion noch sparen lassen. Er berät zum Beispiel US-Größen wie Helly Hansen, Eileen Fisher oder eben Patagonia.
Bei der Betrachtung von Fasern – so Waeber – sollten wir immer nur auf den Anbau starren, sondern die gesamte Ökobilanz bewerten. Dann – so vermute ich – werden wir aber ein paar alte Zöpfe abschneiden müssen und vertraute Gewissheiten opfern. Vor allem bei Naturfasern.
Vor allem die Zahlen zum Frischwasserverbrauch der Textilindustrie hauen mich immer wieder um – wäre ich noch bei Greenpeace wäre das meine nächste große Kampagne! Textilproduzenten (z.B. Färbereien) brauchen Trinkwasserqualität und diese wertvolle Ressource ist knapp – gerade in den Ländern des Südens, wo zu 90 Prozent produziert wird!
Allein NIKE braucht nach eigenen Angaben für seine jährliche Kleiderproduktion das Wasser aus 200 Seen – Waeber hält das noch für niedrig geschätzt!.
Um nur ein Kilogramm Kleidung (Single Jersey) zu färben, braucht es 700 Liter Wasser. Von der Belastung des Abwassers mit der Chemie, die es braucht, um Kleidung zu veredeln, ganz zu schweigen. Waeber nannte China als abschreckendes Beispiel. 85 Prozent der Wasserverschmutzung dort gingen auf das Konto von Textil- und Papierproduzenten!
Bluesign berät vor allem die große, dreckige Industrie – die großen Sünder. Mir gefällt das. Ich denke einfach gerne groß – das ändert an meiner Sympathie für eine kleine, überschaubare Tagung mit vielen kleinen Unternehmen, Einzelhändlern und Zwergen der Zivilgesellschaft aber nichts. Die Vorträge sollen demnächst im Internet abrufbar sein.
Auf zur nächsten Woche mit viel Chichi. Berlin sieht ja immer ein bisschen nach mehr aus als es ist – behauptet die Hamburgerin. Ich lüfte schon mal mein Kleid von dieser Woche – Waschen und Bügeln verbraucht einfach zu viel Wasser und Energie…..
Freue mich auf alle!
Kirsten Brodde, Blog-Gründerin und Autorin von "Saubere Sachen", hat das Thema Ökomode quasi aus dem Nichts entwickelt. Sie arbeitet als Greenpeace Detox-Campaignerin bei Greenpeace Deutschland. Hier finden Sie alle Artikel von Kirsten . |
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