22 Feb, 2016
Vegan oder natürlich tierisch? Gedanken zur Panel-Diskussion auf der Innatex
Leider habe ich es dieses Mal nicht zur Innatex geschafft und damit auch das superspannende Panel zum Thema „Vegan oder natürlich tierisch? – Wie nachhaltig soll Ecofashion sein?“ verpasst. Zum Glück gibt es das nun wie auch die Panels der vorigen Messeausgaben online zum nachsehen (siehe oben), was ich hiermit wärmstens empfehle!
Die Frage der Vereinbarkeit von ökologischer Nachhaltigkeit und Tierrechten in der Mode beschäftigt mich seit vielen Jahren. Bei vielen Produktgruppen ist das kein Problem. Jeans brauchen keine Lederpatches, Knöpfe von Hosen und Blusen können statt Perlmutt und Horn auch aus Steinnus oder gepresstem Papier hergestellt werden, wenn auf Kunststoff verzichtet werden soll. Lyocell/Tencel und Modal können können Seide bei Kleidern, Röcken, Blusen, Futterstoffen oder Garnmixen ersetzen.
Eine Herausforderung bleiben die klassischen Lederanwendungen Schuhe, Gürtel und Handtaschen sowie Wolle für wärmende Strickwaren im Winter.
Ich glaube allen ist klar, dass auch erdölbasierte Leder- und Wollersatzprodukte in Sachen Nachhaltigkeit die Nase vorn haben, wenn wir sie mit den konventionellen tierischen Materialien vergleichen. Genauso klar sein sollte auch, dass dieser Vergleich Nichts über den Vergleich zu ökologischen Tierfasern und vegetabilen Ledern aussagt. Darum ging es im Panel und darum soll es auch hier gehen.
Auch wenn es an vergleichenden Ökobilanzen mangelt, ist es denke ich gar nicht so schwer, tendenzielle Aussagen zu treffen, insbesondere wenn man die Nutzungsphase miteinbezieht. Ein vegetabil gegerbter Lederschuh mit hochwertiger Sohle oder eine Lederhandtasche können bei guter Pflege über viele Jahre getragen werden und sehen auch dann noch so gut aus, dass sie nicht aus rein ästhetischen Gründen ausgetauscht werden müssten. Der Vorteil echten Leders ist, dass man es Nachfetten und damit geschmeidig halten kann. Auch ein Nachfärben ist recht einfach möglich. Für erdölbasierte Kunstleder gilt das nicht. Letztlich wird also jemand der Kunstlederschuhe kauft diese vermutlich häufiger ersetzen als jemand der vegetabil gegerbte Lederschuhe trägt. Immer vorrausgesetzt, dass es um Personen geht, die ihre Sachen pflegen und tragen, solange sie in einem guten Zustand sind. Selbst wenn das Obermaterial aus recyceltem Kunststoff hergestellt wird, fehlt bei dem Kunstlederschuh die realistische Kreislauffähigkeit. Wer nimmt schon seine alten Schuhe auseinander und wo sollte er die einzelnen Materialien abgeben? Theoretische technische Recyclingfähigkeit der einzelnen Materialien hilft hier nicht weiter. Der Lederschuh mit Kautschuk- oder Ledersohle kann theoretisch weitgehend CO2-neutral thermisch verwertet werden und wäre auch einem ökologischen Kreislauf zuführbar.
Hier stehen sich nun längere Haltbarkeit und dadurch geringere Ressourcenverbräuche und Senkeneinträge bei vegetabil gegerbten Lederschuhen und die Achtung von Tierrechten durch vegane Alternativen bisher technisch unvereinbar gegenüber. Die Ziele Ressourcengerechtigkeit unter den Menschen und Tierrechte bilden also bei festerem Schuhwerk derzeit noch einen Zielkonflikt. Zumindest bis Kork oder Pinatex (Ananasfaser) zeigen, dass sie ähnliche Haltbarkeit wie vegetabile Leder erreichen können, wird hier immer eine Priorisierung notwendig sein, wie immer diese auch individuell ausfallen mag.
Auch bei Wolle ist es mit dem Ersatz nicht so einfach. Natürlich kann gänzlich auf tierische Fasern verzichtet und nur Bio-Baumwolle und andere ökologische Natur- und Regeneratfasern verwendet und getragen werden. Diese Fasern haben aber auch alle eine sehr viel geringere Wärmeleistung als Wolle und führen vermutlich schnell zu höheren benötigten Heiztemperaturen in Wohnungen und Büros. Zudem haben sie nicht die natürliche Antigeruchsbildene und antibakterielle Wirkung der Wollfasern, sodass die entsprechenden Textilien sehr viel häufiger gewaschen werden müssen. Heizen und Waschen führen somit auch bei den ökologischen veganen Wollalternativen in der Nutzungsphase zu mehr Ressourcenverbrauch, selbst bei Verzicht auf zusätzliches Heizen.
Eine wärmendere vegane Alternative wäre Polyesterfleece. Dieser ist problemlos auch aus recycelten Fasern herstelltbar. Allerdings wissen wir inzwischen, dass sich aus Kunstfasertextilien bei der Wäsche Mikroplastik auswäscht und damit in die Wasserläufe und letztlich die Meere gelangt.
In Bezug auf Wolle sind zumindest alle Menschen in kühleren Regionen und nicht ausordentlich großer köpereigenen Wärmeleistung auch wieder vor eine Wahl gestellt. Auch hier sind optimale Ressourcenschonung und Tierrechte bisher technisch unvereinbar. Wird mit Polyesterfasern gearbeitet besteht zudem eine Notwendigkeit zwischen individuellen Tierrechten und den Rechten allen maritimen Lebens auf unversehrten Lebensraum abzuwägen.
Andersherum werden Tierrechte auch nicht durch die Regeln zur „artgerechten Haltung“ der Bio-Zertifikate eingelöst. Vegan im Sinne von Anti-Speziesismus bedeutet eben eine Gleichbehandlung von Mensch und Tier und damit auch einen Ausschluss von jeglicher Nutzung von Lebewesen, egal unter welchen Bedingungen.
Es soll hier nicht darum gehen, die verschiedenen Prioritäten zu bewerten. Mir geht es nur darum, diese Bewusst zu machen.
In langfristiger Perspektive hoffe ich auf technische Lösungen, die bestehende Zielkonflikte beseitigen. Bis dahin hoffe ich, dass ein Bewusstsein für eben diese Zielkonflikte zu einem noch respektvolleren Umgang der Vertreter_innen beider Perspektiven führt. Dazu gehört auch, dass zumindest konventionelle Kunstleder nicht als nachhaltiges Material bezeichnet werden, wie dies leider bei veganen Schuhen immer wieder passiert.
Lars Wittenbrink schrieb seine Masterarbeit über Nachhaltigkeitspotentiale der Outdoorbranche. Er führt mit Simone Pleus die gruene wiese in Münster - einen der größten grünen Concept-Stores in Deutschland mit angebundenem Onlineshop. Wandelndes Ökomode-Lexikon und Chefredakteur des Blogs. Hier finden Sie alle Artikel von Lars Wittenbrink . |
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