12 Mrz, 2010

Schön schlicht

Klare Linie, zeitlos, fast schmucklos: So sieht die Bio-Basic-Kollektion des dänischen Labels Neutral aus Kopenhagen aus, deren Chef Lars ich auf der Biofach kennen gelernt habe. Hohn und Spott musste er ertragen, weil ich vorher niemals Kleidung in der Hand hatte, die sage und schreibe sechs verschiedene Siegel zum Beweis ihrer Güte trug.

„Kunden vertrauten Siegeln mehr als Werbung“, argumentierte Lars. „Stimmt, aber hier sehen sie doch den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr“, entgegnete ich. Die Etiketten von Lars zeigen das GOTS-Siegel, die EU-Blume, das Fairtrade-Zeichen, das BSCI-Sozialzeichen, den Öko-Tex Standard 100 und das selbst kreierte Windenergie-Symbol.  Genügt es nicht, die jeweils strengsten Siegel zu zeigen und die Kunden mit dem wachsweichen Rest zu verschonen?

Ach wie gerne hätte ich die neue Bescheidenheit, die die Kleidung von Lars ausstrahlt, auch auf seinen Etiketten.

Seine T-Shirts und Tuniken sind doch auch keine ausladenden Ungetüme.  Oder sind viele Zeichen doch kein Schaden? Und wer Geld für Ökomode ausgibt, möchte bitteschön auch „the real thing“ und alles, was geht? Ich fürchte, ich bin nicht kapriziös genug für diese Vielfalt.

Um die gute Mode sichtbar zu machen, möchte ich lieber ein Zeichen mit hohem Wiedererkennungswert, das signalisiert: Ab hier fängt sauber und sozialverträglich an. Und dann reden wir – um im Bild zu bleiben – über Accessoires, sprich weitere Zeichen, die für Premium-Premium stehen.

Lars ist nach 20 Jahren konventioneller Produktion, wo Preis vor Prinzipien kommt, umgestiegen und produziert nun sauber und sozialverträglich in Bangladesch – geht also. Seine T-Shirts und vor allem die nahezu durchscheinenden T-Shirt-Kleider schreien aber geradezu nach dem Zwiebel-Look: Sie sind recht dünn und brauchen eigentlich eine Schicht Kleidung obendrauf…… Nur das Großvater-Shirt mit der Knopfleiste kann ich so anziehen.

Eigentlich fehlt beim Namen Neutral nur noch ein Zeichen für Klimaneutralität. Als ich die Idee in Berlin im Freundeskreis lobte und preiste, erntete ich Hohn und Spott. „Ich hoffe, die Kleidung wird dann auch mit dem Maulesel gebracht“, sagte meine Freundin. Ich werde Lars das natürlich vorschlagen!

     
 Kirsten   Kirsten Brodde, Blog-Gründerin und Autorin von "Saubere Sachen", hat das Thema Ökomode quasi aus dem Nichts entwickelt. Sie arbeitet als Greenpeace Detox-Campaignerin bei Greenpeace Deutschland.

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Veröffentlicht in: Label

7 Kommentare auf "Schön schlicht"

1 | Mary

März 12th, 2010 at 21:34

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Amen!
Ein Siegel reicht! Wenn dann lieber das GOTS und eine vernünftige Marketing-Kampagne, als den Kunden mit einer Siegelflut zu übefallen/-fordern. Hat den gleichen Effekt und Preis, kommt aber besser rüber
Sowieso, ist es meiner Meinung nach ein Unding GOTS neben die Euro-Blume zu stellen. Also wirklich…Die Euroblume?!
Ich finde das hat nichts mit ‚kapriziös‘ zu tun. Den, der sich nicht mit den Myriaden an Siegeln auskennt verwirrt die Überladung (acuh wenn sie gut gemeint ist) und den mit einer gewissen Kenntnis irritieren Euro-Blume und Öko-Tex 100 neben dem GOTS und dem Eigen-Siegel…

Schade, mir gefalllen die Sachen sonst ganz gut, aber dieses Label illustriert meiner Meinung nach voran die ÖkoFashion-Branche am meisten krankt.

2 | Beate

März 15th, 2010 at 01:18

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Mir gefallen so viele Zertifikate auch nicht, zumal so alle Siegel fuer den Nicht-kenner auf einem Niveau stehen. Die Schwierigkeit ist aber, dass GOTS meiner Meinung nach noch nicht genug kommuniziert / vermarktet ist. Oeko Tex ist einfach bekannter.

3 | AB

März 15th, 2010 at 13:46

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… und neutral in Sachen globaler Gerechtigkeit?! Als Mitglied der BSCI ist das Label lediglich zur Zahlung von Mindestlöhnen verpflichtet – in Bangladesh also ca. 24 Euro für Helferinnen – das liegt knapp unter dem UN-Level für absolute Armut. Wieso wird so ein Produkt hier beworben?!! Ist grüne Mode sozial blind?!

4 | Kirsten

März 15th, 2010 at 15:10

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@ AB: Klar, komplett runde Lösung sieht anders aus. Und es gibt glaubwürdigere Mulitstakeholder-Initiativen als BSCI, aber Fairtrade-Baumwolle als „sozial blind“ zu bezeichnen (ist drin, siehe Label) ist mir doch zu starker Tobak. Ist das nicht deutlich übers Ziel hinausgeschossen?

5 | AB

März 15th, 2010 at 19:37

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Nein, aber es ist sicherlich provokant, wobei die Sachverhalte das zulassen. Folgende Argumente:

1. Ein Unternehmen, das mit „most certified responsible clothing brand in the world“ wirbt, sollte meiner Meinung nach das Möglichste tun, dass es seinem in dem Slogan vermittelten moralischen Anspruch nachkommt. Sonst komme es nahe an green, blue etc washing.

2. Arbeiterinnen in Bangladesh können von einem Minimallohn nicht leben, wenn Sie keine Ueberstunden leisten. Die Zahlung eines Mindestlohnes in Bangladesh führt nach UN Definition in ein Leben in absoluter Armut. Die Zahlung eines Minimallohnes in Bangladesh kommt dem Verstoss gegen soziale und ökonomische Menschenrechte gleich. Es scheint mir nicht sonderlich moralisch, wenn man eine Situation/Initiative fördert, welche Strukturen unterstützt (Mindestlöhne), durch die Menschen in absoluter Armut leben müssen, obwohl man andere Möglichkeiten hat.

3. Die BSCI verpflichtet seine Mitglieder einen Minimallohn zu zahlen. Als „best practice“ können Unternehmen freiwillig bei SA 8000 zertifizierten Fabriken einkaufen, die angeblich „living wages“ zahlen sollen (das bestätigen dann zT lokale NGOs, die von dem Unternehmen gesponsort werden). Wenn man nach diesem System also besonders verantwortlich sein will, darf man auch Löhne zahlen, die die Arbeiterinnen nicht ausbeuten. Man muss es aber nicht, sondern kann sich auch mit dem Label BSCI als verantwortliches Unternehmen brüsten, obwohl sein Produzent nur Mindestlöhne zahlt.

4. Das nähen eines T-Shirts dauert ca. 11 Minuten. Bei einem Monatslohn von 25 Euro sind das rd. 0.03 Euro für ein T-Shirt. Sicherlich ist der Aufschlag für die Zahlung von living wages höher. Selbst wenn er 1 Euro ist: Für ein „moralisches“ Unternehmen wie Neutral sollte es kein Problem sein, seinen F.O.B. – Preis so zu erhöhen, dass der Produzent „living wages“ zahlen kann.

5. Jedes Unternehmen kann einer glaubwürdigeren Multi-Stakeholder Initiative beitreten, die dabei hilft „living wages“ zu zahlen. Kann also dazu beitragen die Strukturen zu verändern.

6. Wenn ich trotz allem damit werbe, dass ich Mitglied in einer Initiative bin, die Mindestlöhne zahlt (und die auch noch von sich sagt, dass das System nicht gut überprüfen kann, ob Arbeiterinnen freedom of association gewährt wird), und ich gleichzeitig noch 5 andere Oekolabels auf meine Website hefte, dann finde ich, das man dazu „sozial blind“ sagen kann, auch wenn es den Baumwollfarmern wegen der FLO Baumwolle etwas besser geht.

7. Ich sage nicht, dass es nicht begrüssenswert ist, dass man GOTS & FLO certified cotton verwendet. Aber das machen inzwischen ja bereits sehr sehr viele für T-Shirts.

6 | Sascha

März 16th, 2010 at 11:17

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Was die Anzahl der Siegel angeht, stimme ich euch allen zu. Auch die Aussagen von Lars, zeigen, dass es weniger um (Produkt-)Informationen und Transparenz als um PR geht, wenn ein Produkt dass es so mit Labels zugeballert sind. Was soll „most zertified“ denn eigentlich heißen? Vielleicht benutzen die ja auch noch FSC-zertifiziertes Papier in ihrem Laserdrucker und habe das auf dem Shirt nur vergessen. Das ist doch inhaltsloses PR-Gewäsch.

@ AB und Kirsten: Ich finde eine solche Praxis weder gut, noch ‚sozial blind‘.
Das Problem ist (nicht nur bei neutral), dass die PR das Produkt eigentlich nur über die Anzahl der Siegel läuft. Und die meisten Siegel versprechen einfach mehr, als sie halten. Keine Transparenz, keine wirklich alternativen Ansätze. Zumindest auf der Website könnte es detaillierte Infos über die Produktionsstätten usw. geben.
Wenn ich den Artikel richtig verstehe, machen neutral ein möglichst billiges Produkt für den Massenmarkt. Es ist doch klar, dass das nicht „richtig fair“ sein kann. Mal wieder eine Werbung, die extrem nah an der Schnittstelle zum Greenwashing steht.
Spannend wäre zu wissen, wie viel die ArbeiterInnen wirklich verdienen: Wenn die Leute wirklich nur 25 Euro bekommen, wäre das z.B. ein viertel vom Mindestlohn in der nicaraguanischen Koop, aus der unsere Shirts kommen. Das fänd ich – als jemand, der allerdings nur die Lebensverhältnisse und Lebensmittelpreise aus Nicaragua kennt – absolut krass. Allerdings wäre ich mir z.B. nicht so sicher, ob neutral wissen, wie hoch z.B. der Monatslohn in den Fabriken ist.

Andererseits steht jedes Unternehmen unter einem gewissen Preisdruck gegenüber den KonsumentInnen. Wenn neutral nur 1000 Shirts im Jahr verkaufen, weil die 25 Euro pro Stück kosten, ist den Leuten in Bangladesch auch wenig geholfen.

Aus meiner eigenen Erfahrung kann ich da nur sagen: Sozial motiviertes UnternehmerInnentum ist immer auch eine Gratwanderung. Ernst gemeintes soziales / politisches Engagement und die kapitalistischen Zwänge sind oft nicht so leicht in Einklang zu bringen. Es wäre gut, wenn das sowohl die Firmen, als auch deren KritikerInnen endlich mal zugeben. (Komischerweise sehe ich mich selbst in beiden Rollen…)
Und da hilft weder provokante / polemische Kritik noch inhaltslose PR. Wir sollten endlich mal anfangen, uns ernsthaft und respektvoll auseinanderzusetzen. Nur so können wir gemeinsam an den notwendigen Alternativen basteln und Druck aufbauen, damit sich substanziell etwas ändert.
Auf lange Sicht nützt es niemandem etwas, wenn wir alles nur ein wenig grüner und sozialer machen und so tun, als ob das schon ganz toll sei. Auf lange Sicht müssen wir wirklich etwas ändern. Und das geht nur gemeinsam.

7 | Francois

März 16th, 2010 at 13:58

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Ist doch egal. Viel wichtiger ist doch ob die Produkte ökologisch und sozial nachhaltig produziert wurden – Siegel hin oder her. Ich könnte jetzt argumentieren, dass ich finde, dass Produkte die zu diesem Preis angeboten werde nicht sozial Nachhaltig produziert werden können und dass durch die Produktion in Indien die Frage aufgeworfen wird, wie viel graue Energie alleine durch den Transport nach Europa entsteht – mach ich aber nicht ;o) Ich finde es schon super, dass jemand versucht etwas zu ändern, auch wenn nicht alles perfekt ist unterscheidet sich dieses Produkt doch allemal von der Massenware die uns bei H&M und Zara angeboten wird. Ich kaufe auf jeden Fall eines, mach die Etiketten weg und fühle mich ein wenig besser….