11 Okt, 2009
Mit Anne durch die Nacht
Es ist fast elf Uhr abens, als die Türen des Fundbureaus in Hamburg sich öffnen. Tausch- und Feierwütige strömen in den Club in Altona, schauen sich um und fangen an, die mitgebrachten Kleidungsstücke auf Bügel an Wäscheleinen zu hängen. Pailettenhemden, Lederjacken, Jeans-Shorts, Schals, selbst Schuhe zieren den Himmel im Fundbureau.
Frauen ziehen schwarze Abendkleider über ihre Jeans und verschwinden mit knallroten Kunstleder-Jacken in den zwei Umkleidekabinen. Erstmals gibt einen Catwalk, auf dem die Gäste die ausgewählten Klamotten zeigen. Die Schau sind für meinen Geschmack die Jungs, die in weißen Rüschenhemden wie Jesus aussehen oder mit grünen Trainingshosen und Schlangenhemden als würden sie einen abgedrehten Modeblog betreiben, der mittlerweile vier Millionen Leser hat. Wenn der Club weit nach Mitternacht schließt, werden nur noch vereinzelte Ladenhüter dort hängen – etwa meine Pailetten-Weste, die ich in Zeiten jugendlicher Unschuld trug. Veranstalter Palle Schlüter, der im Mai bereits die erste Hamburger Tauschparty organisierte, trägt ein weißes Matrosenhemd und bleibt stoisch bei seiner Garderobe. Für jemand, dessen Firma Lotsenbüro heißt, ist das lokale Outfit mehr als passend. Palle hat das Klamottentauschen mit Party kombiniert. Wer im ersten Raum seinen Style aufgefrischt hat, kann nebenan zu Elektromusik abtanzen, was rund 200 Gäste auch so ekstatisch tun, als gäbe es keinen Sonntagmorgen.
Ich bin mit Anne Tetzner aus Berlin gekommen, die ihre Abi-Abschlussarbeit über Moral und Mode schreibt und Anfang November ihre eigene private Tauschparty veranstaltet. Die 18-Jährige packt sich die Tasche voll mit Mitbringseln für Friends&Family und animiert mich zu einer kurzen braunen Lederjacke, in der „Miss Sissy“ steht und die nach süßlichem Kaugummi riecht. Es ist wie früher, als ich mit meiner Freundin im Keller verschwunden bin, um mit Kleidertausch aus kühl-sachlichen Teenagern zwei männerverschlingende Monster zu machen.
Den Gästen gefällt der Gedanke des Tauschens. Keiner hat Trash mitgebracht, alles ist in gutem Zustand. Tauschgast Alexandra hatte zwar eigentlich gehofft, es ertönte wie in England üblich eine Schiffssirene und jeder muss sofort ein Kleidungsstück mit seinem Gegenüber tauschen, aber die bravere hanseatische Variante gefällt ihr auch. Fasching ist für Norddeutsche halt nichts. Alexandra drückt Anne die rote Lederjacke in die Hand, die sie eben noch lässig über der Schulter hängen hatte. „Steht dir besser“, sagt sie.
Weise und frühe Erkenntnis. Manches, was in dieser lauen Partynacht für eine modische Offenbarung gehalten wurde, wird sich am nächsten Morgen als Fehlgriff erweisen. Egal, der Spaß zählt und dass die Idee des Tauschens sich in den Köpfen des Publikums festsetzt.
Abgucken ist übrigens erwünscht: Ein Oldenburger Trio will demnächst die erste Tauschparty in Bremen machen und Anne bald ein Pendant in Berlin aufziehen. Da ich ja mein halbes Leben in Digitalien verbringe, bitte ich alle, ihre Partys im Internet auf Klamottentausch.net anzukündigen, damit die sparsame Variante des Shoppens sich wie ein Flächenbrand ausbreitet. Bei mir hat der Tauschtrend längst auch Bücher und selbst auf unsere Wohnung übergegriffen: Wir haben unser Stadtrand-Loft auf „Hauschtausch“ angeboten und liebäugeln mit San Francisco im nächsten Jahr – da gibt es tatsächlich ein Paar, das auf den kühlen Norden scharf ist und während wir dort sind, bei uns wohnen.
Kirsten Brodde, Blog-Gründerin und Autorin von "Saubere Sachen", hat das Thema Ökomode quasi aus dem Nichts entwickelt. Sie arbeitet als Greenpeace Detox-Campaignerin bei Greenpeace Deutschland. Hier finden Sie alle Artikel von Kirsten . |
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