07 Mai, 2014
Die Müller-Show
So schnell kann man also ein hohes Tier im Entwicklungsministerium werden! Man sitzt mit dem Minister bei einer Diskussionsveranstaltung zu fairen Arbeitsbedingungen in Entwicklungsländern und kennt sich in puncto Textilien besser aus als er. Plötzlich fragt der Minister: „Wollen Sie nicht Staatssekretär werden?“ und man antwortet: „Dann machen Sie mir mal ein Angebot!“. Als einer der amtierenden Staatssekretäre von Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) wäre ich ein wenig nervös geworden.
Offenbar ist die Personaldecke der CSU so dünn, dass Gerd Müller auf offener Bühne seinem Gegenüber Achim Lohrie, Direktor Unternehmensverantwortung bei Tchibo, einen Posten in seinem politischen Apparat anbot.
Das war der amüsanteste Teil des gestrigen Abends in Berlin. Zwischen Minister Müller und Tchibo-Mann Lohrie saß übrigens noch Tanja Gönner (CDU), Chefin der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ), die – Verzeihung – wie eine Notbesetzung wirkte. Interessant waren die zwei Stunden ohnehin vor allem, weil Bundesminister Müller kürzlich ein nationales Textilsiegel für ökologisch und fair produzierte Kleidung angekündigt hatte, das noch in diesem Jahr eingeführt werden sollte. Außerdem ein Internet-Portal, das ab Anfang 2015 Verbraucher darüber informiert, welche Firmen die vom Ministerium geplanten Mindeststandards einhalten. Das soll die GIZ aufs Gleis setzen.
Trotz der Frage der Moderatorin nach „frischen Eindrücken“ von der ersten Runde mit den Spitzen der Textilindustrie, blieb der Minister nebulös. „Bitte macht mir einen Vorschlag“ habe er die Branche gebeten. Und dass er ein Siegel analog zum EU-Biosiegel für Lebensmittel wolle. Ein falscher Vergleich, denn das ist eben ein staatlich geschütztes Zeichen und keine freiwillige Selbstverpflichtung, wie sie für Textilien gerade diskutiert wird. Es gab etliche dieser Ungereimtheiten bei Müllers Äußerungen.
Ich halte ihm zu Gute, dass er auf markige Worte verzichtet hat und so wirkt, als sei er offen für Expertise und Rat. Man muss ihn halt in dieser Sache unter die Fittiche nehmen. Deswegen lag die Frage in der Luft, wer außer der Textilindustrie noch zum ersten „Runden Tisch“ im Ministerium geladen war. Die Grünen haben dazu Fragen gestellt, weil es so nach Kungelei im Hinterzimmer roch. Allerdings waren offenbar auch Gewerkschaften, Transfair/Fairtrade, Öko-Tex (oh je!), die Kampagne für Saubere Kleidung und Oxfam dabei. Das ist ein guter Anfang. „Hinter dem Siegel müsse ein Programm stehen, was viele erarbeitet haben“, erklärte Achim Lohrie, der dem Minister erläuterte, wie sie die „DNA“ des Tchibo-Konzerns verändert hätten – weg von der anonymen „Order per Telefon“ hin zur vertrauensvollen Zusammenarbeit mit wesentlich weniger festen Lieferanten. Waren es einst 3.000, seien es nach jüngster Zählung noch 823.
Der Minister hörte zu und erklärte das Modell flugs zum „Königsweg“ – dabei braucht es sicher noch ein paar mehr Rezepte. Lohrie erklärte übrigens, Tchibo sei auf dem Weg zu 100 Prozent GOTS-zertifizierter Ware, wenn auch noch nicht da. Und er meinte sich zu erinnern, ich hätte 2008 mit einem Schild, auf dem „Schweineladen“ stand, vor Tchibo gestanden. Nun – der Text hatte deutlich mehr Prosa, aber die Interpretation ist schon richtig.
Was aber deutlich klar wurde an diesem Abend: ein Textilsiegel noch 2014 ist vom Tisch. Müller erklärte, sein politisches „Verfallsdatum“ sei ja erst 2017 erreicht. Vor der Sommerpause des Bundestags solle aber ein Aktionsplan stehen.
Stay tuned, eco warriors.
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Kirsten Brodde, Blog-Gründerin und Autorin von "Saubere Sachen", hat das Thema Ökomode quasi aus dem Nichts entwickelt. Sie arbeitet als Greenpeace Detox-Campaignerin bei Greenpeace Deutschland. Hier finden Sie alle Artikel von Kirsten . |
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