17 Feb, 2014
Tierethik in der Mode
Achtung! Das folgende Video enthält sehr verstörende Bilder!
Während Veganer_innen meist jegliche Nutzung von Materialien tierischen Ursprungs ablehnen, spielen tierische Fasern in den Winterkollektionen vieler grüner Modelabels eine wichtige Rolle. Welche schwerwiegenden ethischen Fragen hinter der Nutzung dieser Fasern stehen, ist über die vegane Community hinaus meist nur Wenigen bekannt.
Sehr erfolg- und auch folgenreich änderte dies vor einigen Wochen eine PeTA-Kampagne zu Angora-Wolle, gesponnen aus den Haaren des Angora-Kaninchens. Mit verstörenden Fotos und einem über das Netz weit verbreiteten Youtube-Clip (siehe oben) zeigte PeTA, dass die Kaninchen ihre Haare alles andere als freiwillig hergeben. Weil das auch schon nicht tierfreundliche Auskämmen sehr zeitaufwändig und damit für die industrielle Massenverarbeitung zu teuer ist, werden den Kaninchen die Haare bei lebendigem Leibe und unter gequälten Schreien ausgerissen. Ein paar Mal wächst das Fell nach. Dann werden die Kaninchen getötet. Auch sonst sind die Haltungsbedingungen alles andere als idyllisch und erinnern stark an die Käfighaltung in den Legebatterien der Hühnerzucht.
Die heftige Reaktion der Öffentlichkeit führte in ungewohnter Geschwindigkeit auch zu einer heftigen Reaktion einiger Moderiesen. H&M, ESPRIT, C&A, Peek & Cloppenburg KG Düsseldorf, Peek & Cloppenburg KG Hamburg, Calvin Klein, Gerry Weber, Tom Tailor, Marc O´Polo, GAP, Tommy Hilfiger u.a. stellten die Produktion mit Angora vorerst komplett ein. Natürlich spielt die Edelwolle für viele dieser Konzerne nur eine untergeordnete Rolle und so bleiben die Regale in den Filialen auch trotzdem weiter gut gefüllt.
Mehr als einmal erwischte ich mich bei dem hämischen Gedanken, wie es wohl aussehen würde, wenn auch alle Produkte mit starkem Verdacht auf menschliche Ausbeutung (Nähfabriken) oder Vergiftung (Baumwollfelder) aus den Regalen genommen würden. Inwieweit der Kampagnenerfolg der Tierrechtler auf andere ethische Modefragen übertragbar sei, diskutierte auch der britische Guadian.
Kurz überkam mich auch ein ungutes Gefühl, weil wir im von mir mitbetriebenen Laden auch selbst Angora im Verkauf hatten. Aber schnelle Entwarnung: Das vom großartigen französischen Ethical Fashion Brand L’Herbe Rouge verwendete Angora stammt natürlich nicht von gequälten Kaninchen, sondern von Angora-Ziegen. Und diesen Ziegen geht es gut. Sie werden im Freien in kleinen Gruppen gehalten und geschoren, nicht gerupft.
Doch Angora-Kaninchen sind bei Weitem nicht die einzigen Tiere, die für die Modeindustrie ausgebeutet oder auch getötet werden. Auch die sehr verbreitete Schafswolle wird überwiegend unter Bedingungen gewonnen, die unvereinbar sind mit der Idee einer ethischeren Mode. So ist das sogenannte Mulesing gerade im Hauptwollproduktionsland Australien sehr verbreitet. Von einer Schafsherde, wie sie sich wohl die meisten Konsument_innen vorstellen, kann angesichts der Größe der Gruppen und der engen Umzäunung auch nicht mehr die Rede sein. Regelmäßig werden viele Schafe zudem durch Pestizidbäder getrieben. Die nach dem Scheren erfolgende Chlorausrüstung bei konventioneller Wolle belastet zwar nicht mehr die Schafe, jedoch dafür die beteiligten Arbeiter und die Umwelt um so mehr.
Auch zu diesen Praktiken hat PeTA bereits eine Kampagne laufen. Vergleichbare Reaktionen der Moderiesen blieben jedoch bisher aus. Ein Boykott von Schafswolle aus solcher Herkunft dürfte wegen der weitaus größeren Verbreitung Konzernen wie Konsumenten deutlich schwerer fallen. Die meisten grünen Modellabels und Conceptstores sind mit gutem Beispiel vorrangegangen und bieten nur Schafswolle mit mulesingfreiem Herkunftsnachweis oder gleich aus Zque-zertifizierter oder kontrolliert biologischer Tierhaltung (kbT) an.
Zu Cashmere und Alpaca finden sich bei PeTA ebenfalls Bilder und Informationen, die einen an der allgemeinen „Unschuldsvermutung“ bei diesen Tierfasern zweifeln lassen. Bisher sind diese allerdings nicht kbT oder GOTS zertifizierbar, sodass hier ein Nachweis vertretbarer Scherpraxis bisher nur über die Transparenz der Herkunft erfolgen kann.
Während ich schon glaubte das Tragen von Pelzen sei bis auf einige wenige Hartgesottene inzwischen auch im Mainstream ein „No-Go“, kommt es gerade sichtbar zurück. Und zwar sowohl in Form kompletter Pelzjacken, als auch in Form von Pelzbesatz an Kapuzen und Jackenkrägen. Wurde für letzteres lange Zeit zumindest im gemäßigten Preissegment fast ausschließlich Kunstpelz eingesetzt, hat sich der Pelzpreis offensichtlich so weit gesenkt, dass nun auch bei günstigen Jacken und Mützen Echtpelz zum Einsatz kommt. Vielen Käufern ist das sicher nicht bewusst, einigen allerdings wohl auch egal, wie Vier Pfoten in einer Straßenbefragung in Erfahrung brachte. Mit einer App helfen sie nun Konsument_innen zu erkennen, ob und wenn ja was für ein echter Pelz (Katze?) die unterschiedlichen Marken bei ihren Jacken einsetzen.
So sehr ich die Arbeit in Fragen der Tierethik von PeTA und Vier Pfoten schätze, so sehr bin ich auch irritiert von der Eindimensionalität in Sachen Ethik, wenn ich mir die angepriesenen Einkaufsalternativen angucke. Da werden z.b. bei PeTA schlicht die bekanntesten konventionellen Modehäuser und Versandhändler aufgezählt, mit dem Hinweis, dass es dort auch „eine Reihe an leder-, pelz und wollefreien Produkten“ gibt. Na wunderbar. Dass für diese Produkte dann in vielen Fällen Menschen ausgebeutet wurden und die Lebensgrundlage von Menschen und Tieren vergiftet wurde, stört also nicht?
Und dann noch Anbieter von häufig weichmacherreichem Kunstleder? Weichmacher wirken oft hormonell. Ein Mensch sollte eben auch nicht weniger Wert sein als andere Lebewesen. Und auch vegane Alternativen sollten frei von Toxinen und hormonartigen Stoffen sein, die statt dem Individuum gleich ganze Ökosysteme gefährden.
Es gibt inzwischen eine ganze Reihe von veganen Modeläden und Onlineshops, die sich sehr bemühen Mensch-, Tier- und Umweltfreundlichkeit zu vereinen. Und auch in den nicht-veganen grünen Conceptstores erfüllen die tierfreien Produkte gleich alle 3 Kriterien. Arbeiten wir also gemeinsam daran, dass dieser 3-Klang die Regel wird.
Lars Wittenbrink schrieb seine Masterarbeit über Nachhaltigkeitspotentiale der Outdoorbranche. Er führt mit Simone Pleus die gruene wiese in Münster - einen der größten grünen Concept-Stores in Deutschland mit angebundenem Onlineshop. Wandelndes Ökomode-Lexikon und Chefredakteur des Blogs. Hier finden Sie alle Artikel von Lars Wittenbrink . |
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