27 Aug, 2013

Mit Segen von oben

weissewestefinal2

 

Das ist ja mal eine fabelhafte Geschichte mit verbalen Schlägereien um ein eher unspektakuläres Thema und am Ende dieses Blogeintrages geht es auch noch um verbotene Dinge – versprochen. Was ist passiert? H&M-Chef Karl-Johan Persson -. ein sympathischer Schmalhans, dessen Familie viel Geld mit billigen Klamotten gescheffelt hat – kündigt im „Spiegel“ ein Industriesiegel für faire Mode an. Der sonst – Verzeihung – wackere, aber eher nicht auf Keilereien abonnierte internationale Verband für Naturtextilien, steigt in den Ring und vermöbelt per Pressemitteilung und unter den entzückten Blicken einiger weniger Groupies das Großmaul – die Modebranche brauche kein neues Gütesiegel, es gäbe ja den GOTS und der bräuchte nur den Segen von Unternehmen wie H&M – und der Politik. Kurz zuvor hatte bereits Grünen-Chefin die Lautsprecher angeschaltet und gestützt durch ein Gutachten öffentlich die Stärkung und Weiterentwicklung bestehender Zeichen favorisiert, vor allem des bekannten G-O-T-S. Und genau deswegen hatten Lars und ich ihr einen spitzen Brief geschrieben. Klären wir also mal die Fronten.

Einig sind sich offensichtlich alle, dass abseits von grünen Conceptstores (alles vorsortiert) ein anerkanntes Ökomode-Siegel Verbrauchern eine einfache und gute Entscheidung ermöglicht, da die Mode erkennbar wird. Denn große Marken, die wirklich hell am Modehimmel strahlen – wo der grüne Wimpel obendrauf kommt, aber nicht mehr essentiell ist für die Nachfrage, haben wir in der Branche wenig. Der Report „The better consumer in Europe“ belegt diese Einschätzung. 75 Prozent aller Verbraucher europaweit orientieren sich an Ökosiegeln – und sind bereit für diese Ware tiefer in die Tasche zu greifen (im Schnitt 20 Prozent mehr). Das Vertrauen steigt, je öfter die Modekäufer das Zeichen sehen und sie mehr sie darüber wissen, wofür es wirklich steht. Was große Firmen in puncto Umwelt behaupten, dem trauen drei Viertel der Kunden erst mal wenig – das sollte Herrn Persson bedrücken.

Und der GOTS ist ja kein imaginärer perfekter Standard und nur theoretisch von Wert – er ist für den Massenmarkt erreichbar, auch für H&M – das zeigen Konkurrenten wie C&A, selbst Discounter wie Aldi schaffen die Hürde. Aber er gilt eben nur für Naturfasern und das bringt uns elegant zurück zum Brief an Renate Künast, die den GOTS mit staatlichem Segen versehen möchte – dazu braucht er aber aus unserer Sicht aber noch ein paar Nachbesserungen. Und das haben wir auch geschrieben.

Liebe Frau Künast,

bitte entschuldigen Sie das späte Feedback auf das Gutachten „Der Weg zu
nachhaltiger Kleidung“. Das ist Urlaubszeit und Sonne geschuldet und
nicht, weil wir nichts mit dem Gutachten anfangen könnten. Im Gegenteil.

Das Rad nicht neu zu erfinden, sondern den GOTS als staatliches Siegel
anzuerkennen, ist ein nachvollziehbares und gutes Fazit. Zumal beim
GOTS der Versuch gemacht wird, den Verbrauchern eine Kombi-Lösung
anzubieten, bei der man Ökologie und Ethik, Umwelt- und
Sozialverträglichkeit, bio und fair im Doppelpack bekommt.

Während der GOTS in ökologischer Hinsicht tatsächlich nahezu tadellos
ist, ist er in puncto Soziales schwächer auf der Brust und muss
nachgebessert werden – eine Auflage, die das Gutachten am Ende selbst
formuliert. Zugegeben ist „Fairness“ über die ganze textile Kette zu
garantieren – von den Fasern/Bauern bis zu den fertigen
Textilien/Näherinnen – ein schwieriges Unterfangen.

Wirklich modernisiert werden, muss der GOTS aber an einer anderen
Stelle, die das Gutachten zwar kurz streift, aber allzu lapidar abtut.

Es wäre einfach nicht zeitgemäß, ein Siegel einzuführen, was die Hälfte
des Marktes ausschließt. Denn positiv ausgezeichnet werden, könnten
dann nur Textilien aus Naturfasern. Zellulose basierte Regeneratfasern
und Kunstfasern schließt der GOTS per se aus und suggeriert so
fälschlich, Textilien aus diesen Materialien ließen sich nicht schonend
für Mensch und Umwelt produzieren.

Wir hingegen wollen wachsen sehen, was bisher nicht zertifizierbar wäre,
etwa das Angebot an Regeneratfasern wie Lyocell oder Recycling-Fasern
wie Recycled-PET. Diese Fasern spielen eine zunehmende Rolle im grünen
Modeangebot und überdies im wichtigen Bereich der Funktionstextilien
(Outdoorbekleidung, Sportkluft etc.).

Der Mantel, den sie jetzt schneidern würden mit dem derzeitigen GOTS,
wäre einfach zu eng. Zu postulieren, dass man mit der Beschränkung auf
Naturfasern den „Assoziationen der Verbraucher“ entgegen käme, ist ein
alter Zopf, der abgeschnitten gehört – auch das sollte ein gutes
Öko-Label leisten.

Herzliche Grüße,

Kirsten Brodde und Lars Wittenbrink

Frau Künast hat sich übrigens bedankt und findet die angesprochenen Punkte richtig. Inzwischen mehren sich die Zeichen, dass der GOTS zulegen und sich in diese Richtung bewegen wird – notfalls gibt es einen GOTS zwei für die anderen Fasern. Die nächste Revision steht im Februar 2014 an – wir werden sehen, wie schnell die Mühlen mahlen.

Und jetzt wie versprochen der Schmuddelkram und die verbotenen Sachen, die den GOTS, aber auch den IVN Best in unruhiges Fahrwasser bringen können. Der GOTS und gleichermaßen der IVN Best sind nicht völlig detox-konform. Zwar bannen die Regelwerke beider Siegel die Substanzen, die Greenpeace mit der Detox-Kampagne auf die schwarze Liste gesetzt hat, aber bei einigen bedeutsamen Substanzen fehlen adäquate Grenzwerte und Nachweisgrenzen, die diesen Bann auch praktisch wirksam werden lassen. Beispiel die hormonähnlich wirkenden Alkylphenole und ihre Ethoxylate (APEOs): Dort hat der Bluesign-Standard dem GOTS und dem IVN Best den Rang abgelaufen und ist einfach strikter. Die aktuelle Bluesign-Version ist ein deutlicher Erfolg der Greenpeace-Kampagne, denn Bluesign hat seine Grenzwerte für Alkylphenole deutlich gesenkt. GOTS und IVN Best bieten dagegen ein niedrigeres Schutzniveau.  Beide Standards sollte in dieser Hinsicht optimiert werden – Überarbeitungen sollten schnell möglich sein, das ist ein Fall für die Feuerwehr. Und dennoch ist das Fazit klar: Es gibt keine Alternative, als den GOTS zu verbessern – und dann staatlich anzuerkennen. Denn ein Öko-Minimum-Siegel neu aus der Taufe heben, will definitiv keiner.

P.S. Der Bluesign-Standard hat andere Macken!

 

     
 Kirsten   Kirsten Brodde, Blog-Gründerin und Autorin von "Saubere Sachen", hat das Thema Ökomode quasi aus dem Nichts entwickelt. Sie arbeitet als Greenpeace Detox-Campaignerin bei Greenpeace Deutschland.

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Veröffentlicht in: News

5 Kommentare auf "Mit Segen von oben"

1 | Sammeleintrag! | Ein Jahr ohne Kleiderkauf

August 27th, 2013 at 08:23

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[…] auf der Brust”, und noch viel spannender: GOTS beinhaltet keine Regeneratfasern. Hier geht es zu dem Eintrag von Brodde und Wittenbrink (der übrigens auch diesen Webshop hier betreibt, von dem ein Arbeitskollege, der mich regelmäßig […]

2 | Gerlind Hector

August 27th, 2013 at 09:53

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Herzlichen Dank dafür, dass hier regelmäßig Licht ins Dunkel der vielen Öko-Siegel gebracht wird!
Herr Persson hat in genanntem SPIEGEL-Interview zudem behauptet, kein Unternehmen zu kennen, dass langfristig nicht darauf aus ist, immer mehr Klamotten und ergo immer mehr Geld zu verdienen – eben wie H&M. Wie schön, dass es inzwischen jede Menge positiver Gegenbeispiele gibt, die eine andere Vision vom „Geschäftemachen“ haben. Es gibt sogar Labels, die in der Lage sind, wirklich geschmackvolle Styles zu entwerfen, jenseits von Latzhose und Jutejacke.

3 | Maria900

August 30th, 2013 at 09:06

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Also bis jetzt hat sich wirklich jeder Besuch bei euch gelohnt. Das es dieses Siegel gibt wusste ich auch noch nicht. Allgemein habe ich bei euch bis jetzt schon viel neues gelernt. Und die Idee mit der sauberen Mode finde ich wirklich sehr gut. Ich hoffe wirklich das ihr noch lange so weiter macht und das ich noch viele Infos von euch mitnehmen kann.

4 | Stefan

September 5th, 2013 at 10:04

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Vielen Dank für den tollen Artikel. Es macht wirklich immer wieder Freude hier vorbei zu schauen.
Recycled-PET Fasern spielen auch im Bereich der Kindermode inzwischen eine wichtige Rolle, wie man z.B. auf der Innatex sehen kann. Es wird wirklich höchste Zeit, dass diese Dinge berücksichtigt werden.

5 | Grüne Mode – Kirsten Brodde – Blog » Blog Archive » Da haben wir halt noch ein Siegel?

April 11th, 2014 at 16:39

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[…] 3. Ein Minimum-Siegel mit Mini-Standards bringt keinen Fortschritt. Es braucht ein Kombi-Siegel (öko und sozial) auf hohem Schutzniveau. Basis könnte der Global Organic Textile Standard sein, der weiter entwickelt wird. Wie das aussehen kann, haben Lars und ich hier schon vorgestellt und mit der von uns sehr geschätzt… […]