21 Dez, 2008

Wurfgeschosse

Im Irak gehört Schuhwerk zur untersten Klasse. Wegen ständiger Boden- und Schmutzberührung hat es den Kampf im Kleiderschrank auf ewig verloren. Es ist ein verachtetes Kleidungsstück wie wir seit der Wurf-Attacke des irakischen Journalisten Muntadar al-Zaidi auf den scheidenden US-Präsidenten Georg Bush wissen. Hierzulande wird ja eher mit Tomaten geworfen oder mit Farbbeuteln, wenn man seiner Wut Ausdruck verleihen möchte.

Mode mit Botschaften gefällt mir ja aber, wie ihr wisst. Und so habe ich mal meine Schuhe sortiert, um sie auf ihre Tauglichkeit als Protestmittel zu testen. Da gibt es Hanf-Treter von Patagonia, Ethletics mit Latex aus vorbildlich bewirtschafteten Wäldern, fair gehandelte Veja-Sneaker aus Brasilien und Schuhe aus Recycling-Material von Adidas grün. Das sind gute Nachrichten für all diejenigen, auf die ich gerne werfen würde.

Nicht, weil die Schuhe ethisch und ökologisch einwandfrei sind, sondern weil sie f l a c h sind. Stellt euch vor, ich hätte ein paar hochhackige Pumps von Terraplana oder ein spitzes Geschoss von Beyond Skin, mit dem Natalie Portman zur Verleihung des Golden Globes ging. Stellt euch vor, ich würde damit werfen und treffen!

Vielleicht solltet ihr mich zu Pressekonferenzen nur noch barfuß einladen.

Da ich aber ein wenig altersmilde werde, eifere ich vielleicht doch nur noch Nikita Chruschtschow nach, der im September 1960 auf einer UN-Konferenz seinen Schuh abstreifte und mit dem Absatz martialisch auf dem Verhandlungstisch trommelte, weil er sauer über die Vorwürfe des philippinischen Delegierten war.

Klassenkampf mit Kleiderschrank, geht doch.

     
 Kirsten   Kirsten Brodde, Blog-Gründerin und Autorin von "Saubere Sachen", hat das Thema Ökomode quasi aus dem Nichts entwickelt. Sie arbeitet als Greenpeace Detox-Campaignerin bei Greenpeace Deutschland.

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4 Kommentare auf "Wurfgeschosse"

1 | WL

Dezember 23rd, 2008 at 17:58

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adidas-schuhe sind ethisch alles andere als einwandfrei. Das sollte noch im Artikel ergänzt werden, damit kein falscher Eindruck entsteht. Auch ist der Konzern als ganzes ökologisch so katastrophal, dass die „grüne Linie“ Greenwashing in Reinform darstellt.

Adidas gehört derzeit sogar in Sachen soziale Produktionsbedingungen zu den 3 schlechtesten unter den großen Ausbeutern der Sportartikelindustrie:
https://www.ethicalconsumer.org/FreeBuyersGuides/clothing/trainerssport.aspx

Die Konzern-Website hier zu verlinken wirkt wie ein Kaufempfehlung. Bevor der Konzern nicht zumindest die permanente Verletzung von Menschenrechten beendet und seinen FabrikarbeiterInnen einen Lohn der zum Leben reicht zugesteht (und das heißt neben Essen auch Wohnen, Bildung für Kinder und Altersvorsorgen, wobei derzeit nichtmal ersteres gegeben ist; siehe Link oben) gibt es überhaupt keinen Grund, auch nur eine positive Silbe über adidas zu schreiben.
Dass sie auch gemerkt haben, dass sie den LOHAS etwas bieten müssen, um nicht Marktanteile an ernsthaft um Nachhaltigkeit bemühte Mitbewerber zu verlieren, ist nun wirklich keines Lobes wert. Alles andere hätten Aktionäre völlig ohne ethisches Bewusstsein abgestraft, da es die Rendite geschmälert hätte.

2 | Kirsten

Dezember 23rd, 2008 at 21:13

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@WL Ich kenne deine Position aus der Debatte um die NIKE-Linie Considered auf Karmakonsum. Wie du deshalb wissen müsstest, bevorzuge ich die Zwerge der Branche, von denen ich aber erhoffe, dass sie als Katalysator für die gesamte Branche in Richtung sauber und sozialverträglich wirken.

Weil aber zugegeben ein Bioboom noch keinen Ethikboom macht, habe ich den Link zur Konzernseite von adidas – deinem Vorschlag folgend – gelöscht.

Was mir immer wieder sauer aufstößt, ist die Priorisierung, die bei dir deutlich wird. Es gibt weiß Gott eine Menge – mehr oder minder erfolgreiche – NGOs, die sich für menschenwürdige Arbeitsbedingungen bei Textilkonzernen einsetzen – in der Regel sind sie bei anderen Themen wie Ökologie – die zweite Seite der Medaille – total blind. Ein Grund für mich, dieses Thema im Blog stärker in den Fokus zu rücken.

Vor allem aber war ich dieses Jahr auf unzähligen Veranstaltungen, wo nicht an einem Strang gezogen wurde, sondern hübsch das eigene Süppchen gekocht. Manchmal schien mir, etwas Besseres als gegeneinander agierende NGOs, die auf dem Primat des eigenen Themas beharren, kann den Konzernen gar nicht passieren.

Und jetzt ein Sprung: Tatsächlich ist mein Vertrauen allein in die Konsumenten nicht groß – wir brauchen auch veränderte politische Spielregeln. Du kannst an der Debatte mit Gerhard Zirkel (Prada macht Pleite) ablesen, dass es auch hier kontroverse Einschätzungen gibt, ob das was bringt.

Wie steht es mit dir? Andere Kaufentscheidungen, politisches Engagement – wie kommen wir weiter? Du wirst dich doch nicht nur im Web bewegen.

3 | WL

Dezember 25th, 2008 at 20:31

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@Kirsten: Ne, ich mach schon auch politische Arbeit, z.b. bei attac (sowohl lokal als auch Bundes-AG), aber auch in freien Gruppen und meist zu umweltpolitischen Themen.
Strategisch konsumieren tue ich auch, bei jeder Kaufentscheidung, bei der ich die Möglichekeit dazu habe. Ich tue das aus der Überzeugung heraus, dass Experimentieren mit menschenwürdigen Wirtschaftsweisen wichtig ist, auch wenn diese der Rahmenbedingungen wegen wohl erstmal ne mehr oder minder kleine Nische bleiben werden. Wenn der jetzige Unsinn mal crasht, ist nämlich zum Experimentieren vermitlich nicht viel Zeit. Leuten positive Alternativen nennen zu können, denen man die Möglichkeit anderer Welten nahebringen möchte, ist auch sehr hilfreich. Außerdem ist die Vermeidung von Schäden an Mensch und Natur immer gut, auch im allerkleinsten.

Meine Kaufkriterien:
– kaufen nur wenn nötig
– wenn möglich 2nd hand, insbesondere bei Elektrogeräten und Möbeln, bei Klamotten finde ich selten was
– sonst möglichst öko und regional zugleich
– bei Dingen aus Ländern ohne halbwegs vertretbare Standards immer fair trade-zertifiziert oder ähnliches (bei Klmaotten auch FWF oder made-by)

Ich komme übrigens gerade aus der anderen Ecke, als du es zu vermuten scheinst. Ich habe mir lange nur um Öko-Aspekte gedanken gemacht und Ausbeutung von Menschen nicht so auf dem Schirm gehabt. Seit ner Master-Thesis zu nachhaltiger Unternehmensführtung in externer Betreuung durch eine liebe Mitarbeiterin des Wuppertal Instituts hat sich das verändert. Inzwischen sind mir eigentlich auch ILO- und fair trade-Standards nicht weitgehend genug, aber als Zwischenschritt akzeptabel. Ich will Mitbestimmung und Demokratie in jedem Unternehmen. Und da dass bei Nike und Co wohl nahezu ausgeschlossen ist, will ich die so schnell wie möglich über die Wupper gehen sehen. Sorry, aber so viel Sklaverei ist mir selbst an Weihnachten nicht nach kuscheln…

Dennoch an dieser Stelle frohe Festagswünsche an dich und alle LerserInnen dieses hübschen Blogs.

4 | modeshopper

Dezember 26th, 2008 at 16:33

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das da noch kein hersteller auf den trichter gekommen ist, um daraus geld zu machen. macht sich sicherlich gut ein schuh mit bush drauf :)