03 Mai, 2012

Der Schutz vor der Natur

Irgendwo zwischen Hamburg und Berlin stiegen wir bei vier Grad Kälte von unseren Rennrädern und erkannten: Wir wurden jahrelang belogen. Warme Kleidung transportiert nur sehr eingeschränkt Feuchtigkeit. Für eine mittelschwere Wanderung mag das genügen. Unser Plan sah jedoch vor in zwei Tagen die 280km lange Strecke zwischen den beiden Metropolen zurückzulegen.

Hat nicht geklappt. Nassgeschwitzt und verfroren haben wir in der hereinbrechenden Dämmerung beschlossen aufzugeben. (An dieser Stelle sei angemerkt, dass das eigentliche Abenteuer war, mitten im dunklen Wendland einen Bahnhof oä zu finden. Zum Schluss wurde alles gut.) Und nein, wir waren nicht in (Bio-)Baumwolle unterwegs, sondern vorbildlich gekleidet, wie es sich gehört: Trikot/Softshell/Windbreaker bzw. Merino-Shirt/Softshell/Windbreaker. Trotz Zwiebelschicht und High-Tech Faser: Klamme, nasse Kleidung.

Sicherlich könnten wir noch ein paar Hundert Euro in diese und jene Bekleidungsschicht investieren, aber warum eigentlich? Der Trip war der Hammer, wir hatten Spaß und als wir irgendwo an der Bushaltestelle im Nirgendwo saßen, konnten wir auch schon wieder lachen.

Die Suche nach Abenteuern in der Natur erlebt einen regelrechten Boom in den letzten Jahren. Einer der größten Nachteile am Leben in einer wirtschaftlich geprägten Welt ist, dass die Bilder die einen umgeben und inspirieren in den meisten Fällen auch einen wirtschaftliche Zweck erfüllen sollen. Das schöne Plakat von dem Jackenhersteller macht keine Werbung für die Natur, sondern suggeriert, dass die Natur „besser“ wird mit der richtigen Kleidung. Und auch wenn man sich mit Sportlern und Menschen, die gerne „im Grünen“ sind unterhält, erkennt man schnell: Ausrüstung ist ein sehr wichtiges Thema.

Das ist in meinen Augen ein Irrglaube, der konstruiert wurde von Fach-Magazinen (die von Anzeigenkunden abhängig sind), gesponsorten Sportlern und natürlich der Industrie, der man es nicht vorwerfen kann, dass sie am Absatz ihrer Produkte interessiert ist.

Wenn man sich in gängigen Publikationen mal eine Packliste für eine Herbstwanderung durchliest, kann man sich nicht vorstellen, dass Menschen in der Prä-Funktionskleidungs-Ära auch schon große Strecken in der Wildnis zurückgelegt haben.

Laut einer Umfrage hängen in britischen Kleiderschränken ungetragene Kleidungsstücke im Wert von 11 Milliarden Euro. Diese Zahl macht einmal mehr deutlich: Kleidung ist kein Geschäft mit dem Nutzen, sondern mit dem Bedürfnis. Die sogenannte Leistungsgesellschaft, möchte nicht nur effizient und schnell sein, sondern dabei auch schön und begehrenswert. Aber dieser gesellschaftliche Trend nach alltäglicher Perfektion fordert auch seinen Tribut: Burn Out ist die neue Volkskrankheit.

Immer mehr Menschen sehnen sich daher heute nach Entschleunigung, nach Ruhe und Einkehr. Und wo findet man diese Ruhe? Natürlich: In der Natur. Daher bewerben großflächige Plakate nun nicht mehr hippe Cocktailpartys, sondern Abenteuer in der „wilden“ Restnatur. Und immer mehr Menschen kaufen sich Kleidung um die Natur erleben zu können. Natürlich ist es wünschenswert, wenn sich mehr Leute umfassend mit ihrer natürlichen Umgebung identifizieren und hieraus einen Schutzgedanken und -bedürfnis ableiten. Aber so läuft das ja nicht. Durch die Werbung wird ein Sehnsuchtsort kreiert und die Konsumenten befriedigt das pure Wissen mit ihrer Jacke, ihrer Hose, diesen Ort aufsuchen zu können. Ob sie das je tun werden, ist zweitrangig.

Ein weiterer Aspekt dieser um sich greifenden Naturverbundenheit im Kleiderschrank ist die Frage: Warum? Wie eingangs erwähnt, halten auch die Funktionsmaterialien nicht in jeder Situation was sie versprechen. Und außerdem: Wer sich bewegt schwitzt, friert, kühlt aus, wird nass, wieder trocken und riecht vielleicht auch mal „funny“, so what? Ein gewisses Maß an Komfortverlust gehört nun mal dazu, wenn man die heimische Couch verlässt.

Denn warum geht man nach draußen, wenn man sich vorher größtmögliche Mühe gegeben hat, dieses „draußen“ bloß nicht an sich heranzulassen? Dieser Gedankengang wird auch in einem lesenswerten Interview von Patagonia-Gründer Yvon Chouinard vertreten.

Aber kommen wir nochmal auf die Gesellschaft an sich zu sprechen. Alles wird schneller, weiter, höher und was ist das Resultat? Eine Sehnsucht nach der Ursprünglichkeit und Einfachheit der Natur. Aber was bedeutet das? Einen entspannten Urlaub mit Badehose an einem einsamen Strand? „Mitnichten!“ brüllt die Werbung, dem nervlich eh angeschlagenen Großstädter ins Gesicht. Die Zwänge der Moderne wechseln nur die Bühne. Höher, weiter, schneller geht auch draußen. Rauf auf den Berg, Marathon laufen, Ozeane kreuzen, so geht Urlaub heutzutage. Das Ganze natürlich in den richtigen Klamotten, ohne geht es ja nicht. Logo.

Irgendwie ist das doch alles ein einzig absurder Widerspruch:
Wir sehnen uns nach der Natur, kaufen einen Haufen Kram, der wiederum der Natur oft schadet und uns vor ihr schützt.

Man muss der Outdoorbranche allerdings zugestehen, dass sie sich in den letzten Jahren bewegt hat. Nicht zuletzt dank des Engagements der „Kampagne für saubere Kleidung“ sind innerhalb von zwei Jahren gleich sechs große Hersteller ( Mammut, Jack Wolfskin, Vaude, Schöffel, Odlo, Deuter) der Fair Wear Foundation beigetreten. Ob bei allen daraus eine dauerhafte Mitgliedschaft wird, also ein echtes Bekenntnis zu fairer Produktion, bleibt abzuwarten.

Und auch ökologisch hat sich einiges getan. Eine mehr oder minder große Öko-Produktlinie hat inzwischen fast jede Outdoormarke. Ein konsequenteres ökologisches Optimieren des Gesamtsortiments ist jedoch weiterhin selten zu finden. Patagonia, Vaude und Klaettermusen sind hier derzeit am weitesten.

Aber letztendlich funktioniert der Absatz der Outdoorkleidung eben nach dem ewig gleichen Muster der Modeindustrie:

Sehnsucht und Versprechungen.

Oder:

Nicht jedes Cocktailkleidchen, sieht je einen Cocktail ohne Dosenfrucht.

     
 Mathias Ahrberg   Mathias Ahrberg gründete Anfang 2006 mit Wiebke Hövelmeyer das Modelabel fairliebt., eines der ersten Labels in Deutschland mit dem Anspruch, Ästhetik und Ethik zu kombinieren. Seit mittlerweile sechs Jahren arbeitet er nun schon in, um und für die "grüne Mode", u.a. auch als Mitgründer von korrekte-klamotten.de und dem Basiclabel toodot.

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Veröffentlicht in: News

6 Kommentare auf "Der Schutz vor der Natur"

1 | Alf-Tobias

Mai 4th, 2012 at 14:18

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Sehr schöner Artikel von Mathias mit vielen wichtigen und richtigen Anmerkungen.

„Funktional, ökologisch und fair – passt das zusammen?“ – diese Frage haben wir uns auch gestellt und Outdoor-Marken nicht nur im CSR-Bereich miteinander verglichen: http://bit.ly/szCfKj

Grüße aus Berlin, Alf

2 | mp

Mai 4th, 2012 at 16:11

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Da ist wohl einiges dran, viele Leute sind dem denk ich hoffnungslos verfallen. Die Outdoorbranche profitiert bestimmt sehr davon, dass man z.B. in der Grossstadt mittlerweile die Funktionsjacken zum Minirock trägt. Und es sollte dann schon eine von Patagonia sein, weil man das halt braucht für sein Image. Schwierig zu differenzieren was letztendlich für den Sport gemacht wurde oder mittlerweile den Kleiderschrank für die Alltagsmode ansprechen soll. Die Sehnsüchte kennen die Firmen und sie müssen ihr „Zeug“ ja auch verkaufen. Mit der alten Jeans, ein paar T-Shirts, Wollpullover, Regenjacke und Schlafsack lassen sich jedenfalls die schönsten Abenteuer in den Bergen mit Freunden erleben. Ja, gute Schuhe sind noch wichtig. Aber die halten ja auch ewig wenn man sie pflegt. Danke für die Geschichte und schönen Artikel !

3 | Mathias

Mai 7th, 2012 at 13:01

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@ Tobias-Alf: Danke für den link!

@mp: Danke für den schönen Kommentar! So sehe ich das auch! Eingie Dinge (Schuhe..) braucht man eben, andere nicht..

4 | th&ta

Mai 7th, 2012 at 20:14

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wenn du spass haben willst, funktioniert keine klamotte. stell dir vor du und deine freunde fahren zum spass mal schnell. dann schwitzt du. den wirkungsquerschnitt (schweißtransport raus, luft rein, ohne wasser reinzulassen) kannst du nicht beliebig als perfekten gradienten einstellen, bei allen Fahrmodi. es sei du bist gut trainiert und fährst gleichmäßig und weißt wann du was ausziehen bzw. was wechseln musst, damit deine grenzfläche (deine kleidung) mit außen ideal kommuniziert., wenn dir kalt ist, hilft nur schneller fahren oder anstrengender. und nasse klamotten sind da eher hinderlich, wie du sicher selbst mitbekommen hast. und das es jede menge urban-lines von den outdoor-marken gibt ist legion. generell leicht frierend, aber nicht erstarrend aufs bike steigen und dann bist du nach einer 15 min warm in der Übergangszeit, je nach trainingszustand.. ich bekomme schon immer angst, wenn ein mammut-crack mit 15 kg übergewicht auftaucht und denke, irgendwas mache ich verkehrt mit meiner synthetik-jacke (8 Jahre alt von scott und kein bisschen öko, da kann man super gewicht mit machen ohne sauna, aber noch 3 jahre und sie ist richitg nachhaltig, weil ich sie nutze, auch wenn sie nicht mehr nett aussieht. ). im übrigen hat schon einer globetrottergründer gesagt 80% dessen was er verkauft braucht kein mensch. im übrigen ist es ein generelles problem, jede branche versucht einem zu suggerieren, auf der hippen schockwelle als quasi-profi mitreiten zu können. wird aber nur teuer und wenn du auf cracks triffst, die es drauf haben, lächerlich. Ich wunder mich immer über die leute mit nem fully ab2000 euro durch die stadt fahren, dazu am besten noch klamotten für nen tausender und ab 10kg aufwärts auf dem oberrohr liegen haben. dabei fahren sie nur um die alster.

5 | th&ta

Mai 7th, 2012 at 20:16

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wenn man zweckmäßige klamotten sehen möchte, achtet in der stadt auf kuriere (rad) und sprecht sie an. denn die ahben gute tipps oder keiner. lg th&ta

6 | Hanine

Mai 8th, 2012 at 16:16

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Ja und nein. Bei meiner Alpenwanderung war ich schon heilfroh, dass ich nicht das gleiche Gewicht herumschleppen musste, das mein Großvater noch geschleppt hat… Das macht schon einen richtig großen Unterschied. Und in einer Jeans wandern?! Also so richtig, nicht so 10 km-Spaziergang? Das macht man einmal mit Regen (hab ich schon durch), dann ist man geheilt und holt sich was leichtes, was rasch trocknet und vor allem nicht einem die Haut aufscheuert! Es gibt jede Menge überteuerten Quatsch in solchen Läden, geschenkt. Aber ein paar Sachen sind super. Und das Basic-Zeug, was ich mir da nach ordentlicher Recherche gegönnt habe, plane ich durchaus noch 15-20 Jahre zu benutzen. Ich fahr allerdings auch kein Rennrad. Für meine Fahrradtouren (die tendenziell eher gemütlich ausfallen), für lange Mehrtages-Wandertouren und joggen bin ich mit dem, was ich hab, durchaus glücklicher als mit dem Baumwollzeug, das ich vorher hatte und das nach 15 Minuten nass an mir klebte.
Dieser Outdoor-Boom ist allerdings wirklich interessant bzw. streckenweise einfach lächerlich. Zu erwarten, dass man immer trocken bleibt und gar niemals nicht friert, ist allerdings auch recht naiv 😉