24 Nov, 2011
Muss denn Seide Sünde sein?
Indien fasziniert immer wieder durch seine Dynamik und seine Vielzahl an tollen Projekten die vormachen, dass eine andere Welt möglich ist, wenn man den Willen zeigt etwas zu ändern. Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was erzählen. Wenn man zu einer Reise in die abgelegensten Winkel Nordostindiens aufbricht, um dort dem Geheimnis der Bio-Seide auf die Schliche zu kommen, umso mehr. Und das will ich euch nicht vorenthalten.
Die Frage ob Seide denn überhaupt „Bio“ sein kann und was daran genau „Bio“ ist, werden wir immer wieder gefragt. Hier im Blog haben wir bereits einmal ausführlich berichtet, wie die Produktion von Seide abläuft und was Bio-Seide ausmacht.
Nun sind wir nach einer neuerlichen aufschlussreichen Reise zu einem absoluten Vorzeigeprojekt tief beeindruckt und möchten unsere Eindrücke gern mit euch teilen. Denn auch der „faire“ Aspekt bei der Seidenproduktion sollte beleuchtet und thematisiert werden.
Was macht man aus einem der ärmsten Bundesstaaten Indiens, in dem hauptsächlich Kohle und Erze abgebaut werden und dessen Minen einer geringen Anzahl von Menschen ein Auskommen bietet? In dem es Landstriche voller gewaltbereiter Naxaliten (Maoisten) gibt, die sich gegen diese Ausbeutung der Natur wehren aber durch ihren Kampf gegen alles und jeden auch jedwede Entwicklung zum Stillstand bringen? In dem die Natur atemberaubend schön ist, aber die Kleinbauern nur 20 Euro Auskommen im Monat haben, während sie mühsam ihre Felder bewirtschaften?
Man schafft knapp 200.000! Arbeitsplätze, stärkt alte Handarbeitertraditionen und ermöglicht so ganz nebenbei Tausenden von Kindern zur Schule zu gehen. So geschehen im nordöstlichen indischen Bundesstaat Jharkhand, südlich von Bihar. Was hier innerhalb von vier Jahren geschaffen wurde, sucht seinesgleichen.
Jharkhand ist einer der indischen Bundesstaaten in dem es eine signifikante Anzahl an „tribals“ also stammeszugehörige Ureinwohner gibt. Die Seidentradition gibt es hier schon seit vielen Jahrhunderten ist aber, vor allem durch die Ausbeutung der Bodenschätze in dieser Region, eingeschlafen. Der relativ junge und ehrgeizige Bundesstaat Jharkhand hat sie wiederbelebt. Und zwar von staatlicher Seite. Und das Ergebnis ist beeindruckend.
Früher arbeiteten die Seidenraupensammler, die SeidenspinnerInnen und die Weber meist für lokale Geschäftsleute, die sich deren Dienste einkauften, um unregelmäßig und für einen sehr niedrigen Lohn Saris, Kurtas oder andere Textilien für den freien Markt herzustellen. Das Ziel war es die Fähigkeiten der Menschen vor Ort zu fördern. Ihrer Kreativität und ihren Handfertigkeiten wurde von staatlicher Seite eine Plattform gegeben. Den Menschen wurde technische & finanzielle Hilfe, eine Ausbildung und vor allem Marketing zur Seite gestellt, damit ihre Produkte bekannt werden. Dies vor allem und vorrangig auf dem indischen Binnenmarkt.
Die staatliche Seidenkooperative wurde mit einem Ziel geschaffen: Den Menschen Chancen zu geben und ihr Leben zum Positiven zu verändern.
Ein Ansatz der sehr ungewöhnlich ist und die Kreativität der Menschen beim Schopfe packt, diese ein wenig lenkt und ihr Potential ausschöpft. 2006 wurde zuerst evaluiert, welche Potentiale im Bundesstaat schlummern. Seidensammler, Seidenspinner, Handweber, Näher, Kunsthandwerker, Schnitzer, Maler, Töpfer und viele mehr wurden ausfindig gemacht und ihr Potential wurde analysiert. Lokale NGOs und Selbsthilfegruppen wurden miteinbezogen. Es wurden Cluster gebildet, um die geballte Kraft der lokalen Kreativität auszuschöpfen. Und hier ist wichtig, dass es um ausschöpfen und nicht um das abschöpfen der Kreativität geht. Denn nach der Clusterbildung wurden die Menschen ausgebildet, ihre vorhandenen Fähigkeiten wurden in Zusammenarbeit mit Universitäten und jungen Designern geschärft und fit gemacht. Und der Bundesstaat selbst schuf eine Plattform für die Vermarktung der Produkte: Outlets, d.h. spezielle Läden in den großen Städten Indiens. Und das Konzept funktioniert. Der Umsatz hat sich seit 2006 verzehnfacht (angesichts des riesigen Marktes in Indien und der Wertschätzung handgemachter Produkte kein Wunder) und die Menschen haben ein festes und faires Einkommen. Da die Organisation staatlich ist, gehen die Gewinne wieder direkt in das Projekt und die Löhne der Menschen. Für neue Materialien wie Webstühle, Spinnmaschinen usw.
Ich könnte noch viel mehr davon berichten, möchte aber beim Thema Seide bleiben. Hier wurden ebenfalls Cluster gebildet. Für das Rohprodukt, für das Seidengarn und für die Seidenwebung. Und alle Schritte sind GOTS zertifiziert. Wirklich beeindruckend.
Für das Rohprodukt wurden die bereits in der semi-wilden Seidenzüchtung tätigen Stämme aktiviert. Und das geht so: Die Seidenraupenwächter und Kokonsammler werden von den entstandenen Kokonbänken mit den Eiern der Seidenraupen ausgestattet (deren Kokon sie wiederum selbst gesammelt haben). Sie bringen die Eier in den Dschungel und wachen über das Aufwachsen der kleinen Seidenraupen. Hierfür bekommen sie Netze von der Kooperative, damit sie die kleinen Tasar-Raupen vor natürlichen Fressfeinden wie Schlangen, Vögeln oder Ratten schützen können. Haben die Raupen eine zeigefingergroße Größe erreicht, werden Sie weiter auf Terminalia Arjuna (Myrobalan)-Bäume in der Wildnis gesetzt, wo sie fressen, fressen, fressen. Dass die Raupen auch hier sicher sind, wird von den Seidenraupenwächtern täglich überprüft. Da alles in der Wildnis geschieht gibt es hier keine Pestizide, Herbidzide oder ähnliches. Alles geschieht auf natürliche Weise. Nach ca. 30 Tagen bauen die Tasar-Raupe eine sogenannte „Hängematte“ in einem Blatt der Terminalia Bäume, in der sie sich verpuppen und den Kokon spinnen. Das dauert ca. 2 Tage.
Die Kokons werden anschließend gesammelt kurz in den Häusern der Sammler aufbewahrt und anschließend zur Kokonbank gebracht. Die Kokonbank selbst sind Projekte der staatlichen Kooperative. Hier werden die Kokons aller Initiativen gesammelt, aufbewahrt, auf Krankheiten untersucht und die Seidenspinner können schlüpfen. Nach dem Schlüpfen kommen sie in kleine Tonschalen, wo sie Eier legen. Dann geht das Spiel wieder von vorn los. Wobei es nur zweimal im Jahr möglich ist, Kokons zu sammeln. In der restlichen Zeit, erholen sich die Bäume wieder.
Wie es mit den Kokons weitergeht und wie daraus faire Bio-Seide entsteht erzähle ich demnächst in Teil 2.
Autor: Benjamin Itter
Fredericke Winkler, Modedesignerin und Journalistin. Unterrichtet an der ESMOD in Berlin und führt "Beyond Berlin", eine Agentur, die die grüne Modeszene berät. Hier finden Sie alle Artikel von Fredericke . |
Veröffentlicht in: News