30 Okt, 2011
Stockholm-Girl
Stockholm ist ein Ort, von dem nicht jeder eine Vorstellung hat – es sei denn, er hat die Krimis von Stieg Larsson gelesen oder ist wie ich ein Fan des Nobelpreises, der in der schwedischen Hauptstadt verliehen wird. Nur der Friedensnobelpreis wird in Oslo vergeben. Manch ein Bild der Stadt ist sicher auch durch die Hochzeit von Prinzessin Victoria und Daniel Westling geprägt, die hier in einer kleinen Kapelle getraut wurden.
Warum bin ich hier? Die Biofach hat ausländische Journalisten aus etlichen skandinavischen Ländern eingeladen, um sie über die Biofach und besonders die Höhepunkte des nächsten Jahres zu informieren – und dazu zählt die grüne Mode. Die Biofach ist eine internationale Messe, der Weltläufigkeit und Unterwegssein gut zu Gesicht stehen. So gesehen finde ich solche Auslandspressekonferenzen passend. Mir als Expertin gibt es Gelegenheit, mit vielen Kollegen („How do your people think about….) über grünen Lifestyle und natürlich die Eurokrise zu plaudern.Und „Hej“ zu sagen zum maritim wirkenden Stockholm.
In der Stadt glitzert schon alles – auch die Kollektion von H&M. Da gibt es silberne Pullover, Vorboten der am 24. November startenden „Party collection“ mit grünen Materialien, von der ich denken werde, man sieht aus, als wolle man im Zirkus auftreten werde. Meine Tochter wird sie lieben. Von der brutal-floralen Kollektion – zu Teilen aus Bio-Hanf – habe ich die Finger gelassen. Nicht mal die Bettdecke, die online noch zu haben ist – konnte mich locken. Hanf halte ich aber für eine absolut charmante Neuheit in der Materialauswahl des Konzerns, der übrigens der größte Arbeitgeber in Schweden ist.
H&M sitzt derzeit mit Greenpeace an einem praktischen Plan, wie das Versprechen, bis 2020 alle gefährlichen Chemikalien aus der Produktion zu verbannen, eingelöst werden kann. Gut gefiele mir, wenn alle weltweiten H&M-Konkurrenten wie Inditex/Zara, Primark, Marks&Spencer, Forever 21, Gap und auch C&A gleich mitziehen würden und den Plan als Blaupause nutzten, wie es gehen kann. Eigentlich können sie sich ausrechnen, das Greenpeace sonst auch vor ihren Türen auftaucht.
Gleichzeitig ist H&M dem „Fairwage Network“ beigetreten, ein gedankliches Kind der ILO (International Labour Organization) und der FLA (Fair Labour Association). 200 Lieferanten (Konfektionsbetriebe) in China, Indien, Bangladesch und Kambodscha werden zur Zeit auf ihre Lohnstruktur geprüft. Was das heißt? Dort wird unter anderem auf das Verhältnis von Lebenshaltungskosten und Löhnen geguckt (living wages), auf funktionierende Überstunden-Bezahlung, aber auch auf Lohngerechtigkeit, sprich gibt es ein enormes Gefälle in der Fabrik, wenige, die viel verdienen und viel, die wenig verdienen. Die Daten sollen bis zum nächsten Frühjahr vorliegen. Vieles scheint mir vorhersehbar, spannend wird dann, wie Abhilfe geschaffen wird. H&M erklärt, das Ziel seien funktionierende Arbeitnehmer-Vertretungen, um Arbeiter als Instanz zu beteiligen.“Jede Fabrik jeden Monat zu besichtigen“, sei auf lange Sicht Unsinn. Den Arbeitern eine Stimme zu geben – in diese Idee gehört tatsächlich Kraft,
Persönlich denke ich nach wie vor, dass trotz aller Bemühungen um Ethik und Umweltschutz, die Masse der Kleidung, die wir kaufen, ein Problem bleiben wird. Denn der Produktionsdruck, der entstanden ist, hat vermutlich viele der möglichen Fortschritte in den Fabriken schlicht wieder aufgefressen. Meine Standardfrage an H&M ist deshalb immer die nach Rücknahme der Kleidung und ob die Kunden nicht ermuntert werden sollten, weniger zu kaufen. Warum ist es nicht möglich, in jedem H&M-Laden ein Stockwerk mit Secondhand-Klamotten einzurichten?
Und tatsächlich experimentiert H&M mit dieser Idee. Von H&M gekauft wurden unlängst die Marken Monki, Cheap Monday (Jeans) und Weekday. Das Lustige daran ist übrigens, dass etliche Freundinnen meiner Tochter gerade dort einkaufen, um nicht bei H&M zu shoppen! Tja, die reiche Erbtante ist halt überall.
Aber Weekday, die in Stockholm gleich neben H&M residieren auf einer Straße, die wie eine erschlagene Schlange aussieht, bietet ein ganzes Stockwerk mit Secondhand-Klamotten an. Alles ist wunderbar sortiert und gehängt und mit einem edlen glitzernen (!) Etikett versehen. Die Botschaft ist, neu und alt lassen sich gut kombinieren. Mir hat es gefallen, ob es funktioniert oder ob Secondhand die ungeliebte Schwester bleibt, wird sich zeigen.
Und jetzt das Bekenntnis. Ich habe DREI NEUE HOSEN gekauft in Stockholm. Genauer gesagt, Jeans. Im Nudie-Store in der Skanegatan in Stockholm war die Auswahl an Organic-Denims in straight, skinny oder boyfriend einfach überwältigend. Hatte ich das gestreifte Oberteil erwähnt, was ich auch noch erworben habe? Ich stilisierte es gerne als Protest gegen den aktuellen Jeans-Test in „Stiftung Warentest“ hoch (Nudie hat schlecht abgeschnitten, obwohl sie öko und fair/FWF sind). Aber wahr ist: Die Denims sitzen einfach perfekt.
Ja, ich weiß! FARBIGE Jeansmodelle sind der Trend – blau, grün, rot oder gar kaugummipink. Und wer zur Zeit in die Schaufenster blickt, sieht auch noch einen anderen Hosentrend. Angesagt sind robuste Cordhosen -gerne in den Farben des Herbstlaubes. Ich bleibe dennoch in geordneten Bahnen, sprich bei blauen Jeans. Inspiriert bin ich trotzdem und habe die graue Cordweste wieder heraus gekramt (Organic von Marc o´Polo). Ich bin jetzt der Darling der Trendforscher. Ganz neues Lebensgefühl.
Kirsten Brodde, Blog-Gründerin und Autorin von "Saubere Sachen", hat das Thema Ökomode quasi aus dem Nichts entwickelt. Sie arbeitet als Greenpeace Detox-Campaignerin bei Greenpeace Deutschland. Hier finden Sie alle Artikel von Kirsten . |
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