15 Okt, 2011
Gute Faser – böse Faser?
Wie wir wissen ist der biologische Baumwollanbau erheblich umweltverträglicher als der konventionelle Anbau. Doch auch Bio-Baumwolle benötigt sehr viel Fläche und Wasser. Deshalb und auch aus Bedarf und Faszination an Fasern mit anderen Trage-Eigenschaften sind Ökomode-Designer, -Händler und -Käufer immer sehr an alternativen ökologischen Fasern interessiert.
Glaubt man den Selbstbezeichnungen gibt es davon eine große Menge. Doch auch in diesem Bereich hat inzwischen die Grünwäscherei begonnen. Und nicht selten werden diese angeblichen Öko-Fasern auch von Ethical Fashion Brands verwendet – in der Regel wohl schlicht aus Unwissenheit.
Die Einordnung in „gute“ und „böse“ Fasern ist leider wirklich eine große Herausforderung und natürlich gibt es hier jede Menge Graustufen.
Zudem liegen bislang gerade mal eine handvoll Studien vor, die die Umweltbeeinträchtigungen der Produktion verschiedener Fasern vergleichen. Im Folgenden fasse ich die Kernaussagen der mir bekannten Studien zusammen und erkläre auch, welche Einkaufspolitik wir für unseren Laden „gruene wiese“ (Münster) daraus entwickelt haben.
Die für Laien zugänglichste und zugleich auch in der Breite der betrachteten Fasern umfassendste Studie ist der oben abgebildete Faser-Benchmark von made-by. Hier werden die wichtigsten Öko- und konventionellen Fasern in Klassen eingeteilt. Berücksichtigt wird dabei nur die Umwelteinwirkung bis zur frischen Faser. Das heißt spätere Färbungen, die Langlebigkeit und auch die Nachnutzungsphase (Recycelbarkeit, Kompostierbarkeit) bleiben unberücksichtigt. Es handelt sich somit nicht um vollständige Ökobilanzen/LifeCycleAssessments.
Eine weitere Einschränkung hat der Benchmark: einige Fasern sind mangels Datengrundlage bislang nicht klassifiziert oder auch gar nicht aufgeführt. Mit Wolle, bzw. Bio-Wolle betrifft dies auch eine wichtige Faser für Ethical Fashion. Dennoch ist der Benchmark ein echter Meilenstein.
Die Einteilung der Fasern erfolgt anhand der folgenden Kriterien und Gewichtungen: Treibhausgasemissionen, Humantoxizität und Umwelttoxizität zu je 20 %, Energieinput, Wasserinput und Flächenverbrauch zur je 13,33 %.
Vor dem Hintergrund gängiger Klischees birgt der Benchmark einige Überraschungen. So ist selbst Polyester aus frischem Erdöl noch erheblich umweltfreundlicher als konventionelle Baumwolle. Hanf und Leinen sind bei nicht-ökologischem Faser-Anbau und nicht-zertifizierter Weiterverarbeitung nicht besser als Bio-Baumwolle. In der Bio-Variante sind Hanf und Leinen hingegen als einzige Frisch-Fasern neben diversen Recycling-Fasern Class A. Recycling-Fasern wiederum schlagen Bio-Baumwolle immer, auch dann wenn es sich um Kunstfasern wie Polyester handelt.
Vermeintliche Öko-Fasern wie Modal und Bambus-Viskose schneiden nicht besser als frische Erdölfasern ab. Grund dafür sind der hohe Energie- und Chemie-Einsatz bei der Fasererzeugung. Tencel/Lycocell hingegen ist wie Viskose ein Regeneratfaser, jedoch eine mit umweltfreundlicherem Herstellungsprozess und damit Class B. Tencel-Produzent Lenzing hat jüngst eine „Öko-Version“ von Modal (Modal Edelweiss) vorgestellt. Die Klassifizierung für Modal im Benchmark bezieht sich auf klassisches Modal.
Ausführlicher zur Methode in der Zusammenfassung von made-by hier. Die komplette Studie bekommen alle made-by-Mitglieder zur Verfügung gestellt.
Dass andere Gewichtungen einzelner Kriterien und auch die Berücksichtigung regionaler Unterschiede (z.b. maschinelle oder manuelle Feldbearbeitung) nochmal zu etwas anderen Ergebnissen führen können, zeigt eine umfassende Studie des Stockholm Environment Institute von 2005. Hier schlägt auch konventioneller Hanf die Bio-Baumwolle. Diverse Diagramme helfen, die Kernaussagen schnell zu erfassen. Also ruhig mal reinschauen.
Als Einstieg kann ich auch “Well dressed? – the present and future sustainability of clothing and textiles in the United Kingdom“ empfehlen.
Für die „gruene wiese“ wählen wir nur Produkte aus, die aus Fasern bestehen, die made-by als Class A oder Class B bewertet und damit so gut oder sogar besser als Bio-Baumwolle sind. Abweichungen sind Hanf aus nicht-bio-Anbau (Begründung siehe oben verlinkte Studie) sowie Wolle aus konktrolliert biologischer Tierhaltung (kbT), chlorfreie Zque-zertifizierte Merino-Wolle und chlorfreie Schurwolle.
Für Wolle spricht, dass Wollsachen seltener gewaschen werden müssen und in der Regel ein Auslüften reicht. Zque-zertifizierte und chlorfreie Wollfasern weisen eine erheblich geringere Umweltbelastung und Humantoxizität auf (die sonst z.b. bei der Chlorbehandlung entsteht), sind aber dennoch nur ein Kompromiss gegenüber dem konsequenteren kbT.
Auch konventionelle Wolle wird von einigen Ethical Fashion Brands verwendet, ist jedoch wegen der erheblichen Beeinträchtigung der Gesundheit von Arbeiter_innen und der Umwelt durch Filzfrei-Ausrüstung mit Chlor und anderen Ausrüstungsprozessen abzulehnen.
Ergänzung tierethischer Aspekte von Wollfasern (danke an Kommentatorin Petra): Sowohl bei konventioneller Wolle als auch bei nicht-zertifizierter chlorfreier Wolle ist weder eine Pestizidbehandlung der lebendigen Schafe noch eine industrielle Schafshaltung samt Mulesing automatisch ausgeschlossen, bzw. bei ersterer sogar sehr verbreitet. kbt und Zque verbieten diese Praktiken und stehen damit auch für „tierfreundlichere“ Wollfasern.
Schwierig ist in diesem Zusammenhang, wie mit recycelter konventioneller Wolle umzugehen ist. made-by stuft sie als Class A ein. Meist handelt es sich um Schnittreste, es können aber auch Altkleider zum Einsatz kommen. Bei rein mechanischem Recycling muss wegen der kürzeren Fasern Frischwolle hinzugegeben werden. Die Verdichtung kann jedoch auch chemisch mit Polypropylen erfolgen. Hier ist ein ökologischer Vorteil dann mehr als fraglich. Vielleicht sollte made-by auch bei Wolle nach „mechanically recycled “ und „chemically recycled“ unterscheiden.
In der Sommersaison 2012 werden Ökomode-Händler verstärkt mit neuen vermeintlichen Öko-Fasern konfrontiert. Woodsilk ist ein seideähnliches Material aus Cellulose/Holz. Es ist letztlich eine Art von Rayon und damit eine Viskose. Somit ökologisch schlechter als Bio-Baumwolle, aber zweifellos eine vegane und vermutlich auch ökologisch überlegene Alternative zu Seide. Auch Soja wird vermehrt zur Faserproduktion eingesetzt. Hier wird ein Abfallprodukt der Ölgewinnung verwendet. Stammt das Soja nicht aus Bio-Anbau, ist dabei natürlich die Chance an genetisch verändertes Soja zu geraten groß. Die Faserherstellung erfolgt anders als bei Vikosen nicht auf Cellulose-, sondern auf Proteinbasis. Ob das besser ist, scheint noch unklar. Eine erste Annäherung an diese neusten Faserentwicklungen findet ihr in der Studie „The role and business case for existing and emerging fibres in sustainable clothing„.
Nach all diesen komplexeren wissenschaftlichen Betrachtungen gibt es noch eine ganz einfache faserbezogene Regel bei der es um die Nachnutzungsphase geht: Um die Müllberge nicht weiter zu vergrößern sollte ein Öko-Produkt (egal ob Textil oder was auch immer) entweder zu 100 % aus kompostierbaren Fasern (z.b. auch ein Bio-Baumwoll-Tencel-Mix) oder sortenrein aus einer technisch kreislauffähigen Faser (z.b. recyceltes Polyester) bestehen. Dieses Prinzip nennt sich Öko-Effektivität oder auch „Cradle to Cradle“. Richtig konsequent können wir es bislang nicht anwenden, weil auch bei Naturfasern in der Regel mit Polyester-Garn genäht wird und sich auch an 100 % Recycling-Polyester-Produkten oft Metallnieten, -Reißverschlüsse etc. befinden. Ein Bio-Baumwoll-Recycling-Polyester-Mix ist aus dieser Sicht aber schon mal tendenziell abzulehnen.
2012 wird das korrekte klamotten Netzwerk Selbstverpflichtungen/Standards für korrekte klamotten Labels und korrekte klamotten Händler veröffentlichen, die auch konkrete Leitlinien zur Faserwahl beinhalten. Ziel ist es, bestehende und neue Ökomode-Labels und -Händler zu einer konsequent ökologischen Faserwahl zu motivieren.
Autor: Lars Wittenbrink (gruene wiese, Münster)
Lars Wittenbrink schrieb seine Masterarbeit über Nachhaltigkeitspotentiale der Outdoorbranche. Er führt mit Simone Pleus die gruene wiese in Münster - einen der größten grünen Concept-Stores in Deutschland mit angebundenem Onlineshop. Wandelndes Ökomode-Lexikon und Chefredakteur des Blogs. Hier finden Sie alle Artikel von Lars Wittenbrink . |
Veröffentlicht in: Tipps