13 Mai, 2011
Die perfekte Masche
Alles begann, als Ende März mein Telefon klingelt. „Tine Hauser-Jabs“, stellt sich die Stimme vor. „Jabs – wie der Gitarrist der Scorpions“. Mir ist sofort klar: Dies ist eine programmatische Ansage. Egal, was nun kommt, es soll so richtig rocken, ganz genau wie die Heavy Metal-Band aus Hannover.
Tine entpuppt sich als Fraktionsmitarbeiterin der Berliner Grünen mit einer ungewöhnlichen Idee. Sie hätte da einen 30 Jahre alten Pullover – so alt wie die Grünen in Berlin selbst – für den sie ein Strickmuster bräuchte. Auf dem grasgrünen Original sei eine orange-rote Anti-Atom-Sonne zu sehen, die die Faust recke. Gestrickt habe ihn ein Abgeordneter namens Michael Cramer, der ihn noch heute trage.
Vor meinem geistigen Auge erscheint ein etwas speckiges Teil mit Mottenlöchern. Und selber stricken kann ich – „grüne Mode“ hin oder her – gar nicht. Auf der Plusseite verbuche ich dagegen: Bündnisse stricken liegt mir. Und an Strickanleitungen für eine andere Welt bin ich auch interessiert.
Was mich in Minutenschnelle überzeugt, ist die charmante Idee, die Tine flugs entfaltet. Tine möchte das kleine Kunstwerk von damals zum Nachmachen anbieten. Schließlich sei beides gerade hip: Handarbeiten und der Anti-Atom-Protest. Und die Grünen sowieso.
Der Pullover entpuppt sich als Stück grüne Geschichte vom Feinsten. Michael Cramer, ein Grüner der ersten Stunde, hat ihn selbst gestrickt. Von 1989 bis 2004 war er verkehrspolitischer Sprecher der grünen Fraktion in Berlin, seitdem sitzt er im EU-Parlament in Brüssel. Gestrickt hat er seine Behausung allerdings schon vor seiner Zeit im Abgeordnetenhaus. Als dem damaligen Lehrer das Tragen eines Anti-Atomkraft-Buttons in der Schule verboten wurde, schritt er zur Tat, strickte den Protest-Pulli und umging so elegant die Kleidervorschriften. Später fertigte der Strickprofi dann im Plenarsaal auch noch Socken, Mützen oder Stulpen – der Pullover blieb aber sein bekanntestes Teil. Dabei hat der höchst filigran strickende Mann – das sehe ich aber erst später – Pranken, denen man ansieht, dass er auch kräftig zulangen kann (Michael_mit_Anti_AKW_Pullover).
Tine sprudelt nur so vor Anekdoten aus ihrer Hippie-Zeit. Aber sie lässt sich sofort auf meinen Vorschlag ein, den Pullover von einem Berliner Stricklabel modern interpretieren zu lassen. Auch Unisex – eine einzige Größe für Männer und Frauen – rede ich ihr aus.“Wir hatten alle keinen Speck damals“, gibt sie zu Protokoll als Beleg dafür, dass früher allen alles passte. Nun: es sei gesagt, dass diese smarte Lady noch heute gut in Form ist. Aber drei Größen und ein Pullover, der so nicht so kastenförmig wie ein Schrank ist, müssen trotzdem sein. Und 100 Prozent Öko sind auch Pflicht. Denn die Wolle für den neuen Pullover sollte nicht – wie sonst üblich – aus Australien, Neuseeland oder Südamerika kommen, wo Schafe im Akkord geschoren, durch Pestizidbäder gejagt werden, um Parasitenbefall zu verhindern und am Ende ihres Lebens zum Schlachten gen Nordafrika geschifft werden. Wochenlang dauert dieser letzte Transport. Diese Quälereien tragen Pulloverträger unwissend mit. Für mich kommt das nicht in Frage. Doch wer kann das anders?
Es gibt nur ein Stricklabel in diesem Land, was einen so eigenen Stil hat wie das von Carolin Ermer-Graening. Was in Berlin zu Hause ist und absolut konsequent in puncto Ökologie und Ethik. Seit 2006 gibt es caro e. Produziert wird in Deutschland. Natürlich strickt Caro heute nicht mehr alles selbst und es gibt auch Genähtes oder Taschen aus Recycling-Leder, aber der Kern der Kollektion ist Wolle und Strick geblieben. Ihren ersten Pullover hat Caro mit fünf Jahren gestrickt, angeleitet von ihrer Mutter. Heute verkauft sie europaweit in 30 Läden.
Ich rufe also Caro an und flöte ihr die Story ins Ohr. Die grüne Modeszene ist überschaubar, wir kennen und schätzen uns. Obendrein gefällt Caro die Idee mit dem Revival des Handgestrickten und als Designerin springt sofort ihre Fantasie an. Sie braucht aber das Original – so schnell wie möglich.
Mühsam leiern wir Michael Cramer den Pullover aus dem Kreuz, was schwieriger ist als gedacht, denn der Mann trägt den Pullover offenbar jeden Tag. Wenn die Grünen in Brüssel im Parlament wie vor Kurzem alle ein Transparent hochhalten mit ihrem Anti-Atomkraft-Protest, steht Cramer einfach auf – mit Pullover. Der sagt alles.
Besiegelt wird der ganze Deal tatsächlich mit Rock n´Roll – wie von Tine anvisiert. Statt im muffigen Büro sitzen Tine, Caro und ich in luftiger Höhe auf dem Dach des Berliner Abgeordnetenhauses, rauchen und halten fest: Caro liefert das gewünschte Strickmuster auf Millimeterpapier zum Nachstricken und bietet ein komplettes Wollpaket dafür an. Die Grünen loben einen Wettbewerb aus: Wer den schönsten Pulli strickt, bekommt noch Bio-Wolle von glücklichen Schafen für einen zweiten.
Parallel entwirft Caro eine tragbare und moderne Sommerversion, die fertig gestrickt zu haben ist. Die ganz neue Masche also. Zeitgemäß und trotzdem mit der alten „Atomkraft: Nein, danke!“-Botschaft, die ja zur Zeit aktueller denn je ist. Alles erlebt seine Premiere auf der 30-Jahr-Feier der Grünen am 13. Mai.
Genau so passiert es.
Heute Nachmittag um 17 Uhr geht es los. Ich würde gerne wieder auf dem Dach sitzen. Ich rechne fest mit den Scorpions. Und mit Tine und Caro. Gestrickte Bündnisse sind eine tolle Sache.
In Kürze: ALL YOU KNIT is…..
Wer selber stricken will, kann die pflanzengefärbte Wolle von glücklichen Schafen aus Norddeutschland samt Holznadeln und Strickmuster bei caro e. im Online-Shop bestellen. Für alle anderen: Die grau-blaue Sommervariante ist fertig gestrickt für Frauen und Männer in diversen Grössen zu haben und kann ab sofort zur Demo wie zur Sommerparty getragen werden. Die Stückzahl ist limitiert. Schnelles Zugreifen lohnt sich.
Der Pullover kosten 69 Euro, das Wollpaket mit Nadeln und Anleitung 79 Euro – ein absoluter Kampfpreis. Obendrein spendet caro e. fünf Prozent des Kaufpreises an IPPNW, die für ihre atomkritischen Kampagnen bereits 1985 mit dem Friedensnobelpreis geehrt wurden.
Alles ab morgen bei caro e.online!
Kirsten Brodde, Blog-Gründerin und Autorin von "Saubere Sachen", hat das Thema Ökomode quasi aus dem Nichts entwickelt. Sie arbeitet als Greenpeace Detox-Campaignerin bei Greenpeace Deutschland. Hier finden Sie alle Artikel von Kirsten . |