07 Mai, 2011
Modern Organic Product
Mein vergangener Blogeintrag zu H&M „Die Farbe der Unschuld“ hat eine Vielzahl von Nachfragen provoziert, wie viel Wischiwaschi denn andere Anbieter betreiben, die – und jetzt kommt´s – wie selbstverständlich in grünen Conceptstores und Online-Shops verkauft werden.
Dezidiert gefragt wurde ich nach Marc O´Polo Organic, die für Frauen und Männer eine gut tragbare Kollektion anbieten. Wie viel Fantasy steckt in deren Etiketten? Wie viel kalkulierte Unschärfe in der Bezeichnung der Kleidungsstücke als „Modern Organic Product“?
Nun, die Designerin der Kollektion habe ich bereits vor längerem auf der Stoffmesse „Munich Fabric Start“ kennen gelernt. Mir gefiel ihr Ansatz, den Modegrad von Öko-Textilien zu erhöhen. Es ging ihr um Design, Qualität und Nachhaltigkeit – in dieser Reihenfolge. Die Biobaumwolle lieferte die Remei AG in der Schweiz, ein absolut glaubwürdiges Unternehmen mit eigenen Anbauprojekten in Indien und Afrika. Von weiterer Zertifizierung war ist und bis heute nicht die Rede, kein bio und fair im Doppelpack, kein GOTS, keine FWF, auch nicht Made-by, die das Unternehmen auf ihrem Weg hin zu mehr Öko und Ethik begleiten würden und sozusagen ein Besser-Versprechen für die Zukunft enthalten.
Sollte sich das geändert haben, bitte ich um Korrektur. Dass diese Mode trotzdem vermehrt in grünen Conceptstores liegt, zeigt wie händeringend die Händler auf der Suche nach gut designter Ware sind und Labeln, die sich gut verkaufen lassen. Denn Marc O´Polo hat ja durchaus eine ganze Reihe eigener Läden, die Konkurrenz ist groß.
Die Bezeichnung „Modern Organic Product“ lässt den Grad von Umweltschutz und Fairness der Mode im Dunkeln. Diese Etiketten sind wie von Gerhard Richter gemalt, unscharf und verwaschen. Immerhin: es gibt in den Läden einen aufklappbaren Flyer, von dem man Aufschluss erwarten könnte. Dort heißt es:
Marc O´Polo bietet Produkte an, die zu einem gewissen Anteil oder zu 100 Prozent aus Organic Grown Cotton, Organic Wool oder Organic Linen bestehen.
Auf Nachfrage konnte keine der Verkäuferinnen beantworten, welches der Kleidungsstücke denn wie viel Faser aus ökologisch Anbau oder artgerechter Tierhaltung (Wolle) enthält. Auf dem Etikett fehlt diese Aufschlüsselung. Hier sei gesagt, dass H&M – wenn auch kaum leserlich – diese Information hinten auf ihre Etiketten druckt. „Blending“ zu erkennen ist also potentiell möglich.
Könnte es sein, dass per se 100 Prozent Organic gilt, wenn nichts weiter draufsteht? Die Verkäuferinnen im Marc O´Polo-Laden wollen das bis nächste Woche klären, was ich einen guten Zug finde. Nicht jeder Kunde will stundenlang in einer Hotline hängen oder sich durch 100-Seiten-Nachhaltigkeitsbericht quälen, um mehr Aufschluss zu bekommen. Auf Fragen direkt im Laden und vor Ort Antworten zu bekommen, ist immer ein guter Test, finde ich. Oder habe ich jetzt wieder die sensationelle I-Phone-App a la Barcoo verpasst, die mir das als perfekte Navigationshilfe gut beantwortet? Kundige App-Nutzer vor, bitte. Fakt ist, es geht nur um den Rohstoff, also eine ökologisch einwandfreie Faser.
Jetzt die Gegenargumentation. Womöglich kann man so jede ökologische Einzelhandlung zerreden, immer ein Haar in der Suppe finden. Überlegt man gerade, ob man ein ökologisch korrektes Hybrid-Auto kaufen soll, stößt man schnell auf Studien, die zeigen, dass es viel sinnvoller ist, einen betagten Spritschlucker so lange zu fahren, bis der Rost ihn zerfressen hat. Liegt Tofu auf dem Teller, erfährt man, dass womöglich Spuren von Gentechnik drin stecken. Oder bei der CO2-Bilanz die Tiefkühlware besser abschneidet als die frische Ware vom Bauern um die Ecke.
Ich würde gegen diese wissenschaftliche Akribie immer argumentieren, dass jeder kleine individuelle Schritt für sich gesehen vielleicht wenig bringt, in der Masse aber doch gesellschaftlichen Druck entfacht. Und dieser Druck Politiker veranlasst, entsprechende Gesetze zu machen. Denn natürlich will ich fortschrittliche – zukunftsfähige – Regelungen im Rücken. Und ja – auch das gute Gefühl haben, Teil des Wandels zu sein.
Also, muss ich den Kauf eines „Modern Organic Product“ nicht loben? Und lieber Ketten wie „New Yorker“ und Billigheimer wie „Primark“ brandmarken, die überhaupt gar nichts leisten. Sicher. Aber ich erwarte eben auch Transparenz und Ehrlichkeit, wie weit die Unternehmen sind in ihren Bemühungen. Sie wollen gläserne Kunden, ich will gläserne Produkte. Die „Heisenbergsche Unschärferelation“ will nicht bei Unternehmen manifestiert sehen. Sicherlich brauchen die Firmen deshalb aufmerksame Wächter. Verbraucherschützer und Medien beispielsweise, die Verwandtschaft und Verschiedenheit zeigen bei Produkten und die sich trauen zu sagen, was gut ist und was nur gut gemeint.
Ich bin gespannt, was Marc O´Polo nächste Woche sagt. Und was ihr vielleicht beisteuern könnt an Kenntnissen?
Schönes Wochenende, bleibt anständig angezogen.
Kirsten Brodde, Blog-Gründerin und Autorin von "Saubere Sachen", hat das Thema Ökomode quasi aus dem Nichts entwickelt. Sie arbeitet als Greenpeace Detox-Campaignerin bei Greenpeace Deutschland. Hier finden Sie alle Artikel von Kirsten . |
Veröffentlicht in: Label