19 Apr, 2011
Die Farbe der Unschuld
Wenn ich mal einen Gerichtstermin habe, erscheine ich sicher auch im „Little white dress“. Das habe ich mir von H&M abgeguckt, die ja wegen Ressourcenverschleuderung ständig vorm Weltgericht stehen. Die neue „Conscious Collection“ ist komplett in Weiß. Denn das ist die Botschaft der Kollektion in der Farbe der Unschuld. Nicht schuldig. Wir sind ethisch korrekt, ökologisch einwandfrei, klimafreundlich, recyclingfähig und so weiter.
Textilfirmen haben zwei Taktiken, wenn es um saubere Produktion geht: Abblocken, aufschieben, nichts tun und hoffen, dass es niemand merkt. Taktik zwei: Begeisterung zeigen und dabei versuchen, die Regeln selbst zu diktieren. Taktik eins, Aussitzen, funktioniert nicht mehr. Außer vielleicht bei „Desigual“ – dem spanischen Patchwork-Modelabel, wie ich gerade lernte. Angesagt ist aber Taktik zwei.
H&M füllt – was sage ich – flutet die Läden mit der „Conscious Collection“, deren Güte trotz grüner Etiketten schwer zu durchschauen ist. Welcher Teenager entschlüsselt etwa, dass BLEND heißt, dass Bio-Baumwolle und Baumwolle gemischt werden? Wieviel Prozent Bio-Baumwolle genau steckt in Sackos, auf denen steht: „MIt Bio-Baumwolle“? Das heißt nicht, dass H&M es nicht ernst meint, aber dringender als die neue bewusste Kollektion brauchen wir Bewusstsein bei den Kunden und Trennschärfe, was gut ist und was nur gut gemeint.
Dazu kommt, dass H&M die „Conscious Collection“ gemeinsam mit anderen Teilen präsentiert, die eben nicht nachhaltig produziert sind. Darüber hängt – sicher ganz bewusst – die schreiende Werbung für die bewusste Kollektion. Dieses wilde Sammelsurium ist schwer zu trennen. Mehr noch: Passgenau zum Start der neuen Kollektion erscheint auch der 167-seitige Nachhaltigkeitsbericht und selbst kundige Kollegen rufen bei mir an, um zu fragen, was davon zu halten ist. Ich sollte Lektüreschlüssel anbieten – statt der Interpretation von Heinrich von Kleist (H&VK) nun die Interpretation von Hennes&Mauritz (H&M). Manch einer mag sich erinnern, dass H&M im vergangenen Jahr in die Kritik geraten war, weil sie Stiftung Warentest KEINE Auskunft gaben über die Herkunft ihrer Kleidung. Jetzt veröffentlichen sie 167 Seiten. Das meine ich damit, dass sie die Regeln diktieren. Fashionwatch – analog zu Foodwatch – gibt es aber nicht.
Aber mich bewegt etwas anderes. Gedacht habe ich, als ich bei H&M stand, nur eines: ETWAS WIRD ÜBRIG BLEIBEN. Je mehr wir konsumieren, desto mehr Müll haben wir.
Nur heißt das ja heute nicht mehr Müll. Man sagt „Wertstoff“. Und dafür haben wir grüne Biotonnen, blaue für Altpapier, graue für Restmüll und jetzt – in Berlin – orange Boxen für den Rest. In die orangefarbigen Tonnen sollen Holzreste, kleinerer Elektronikschrott und Textilien!
Soll heißen: Sammeln und abtransportieren ist das Nachspiel der neuen H&M-Kollektion. Die Mülltonnen die logische Weiterdrehe unseres Konsumtempos. Wer die „Orange Box“ in Berlin schnell voll bekommt, macht in meinen Augen etwas falsch und nicht etwas richtig. Er kauft zu viele Sachen und schmeißt sie zu schnell weg. Sachen lange behalten und gar wieder flott machen, wenn ein Knopf abgerissen ist oder gar das ganze Futter verschlissen, ist out. Steht ja die Tonne vor der Tür. Zahlen gefällig? Jährlich verursacht jeder Bürger neun Zentner Abfall. Ein Müllmann kümmert sich rechnerisch um die Tonnen von jeweils 500 Deutschen.
Ich bin sicher, dass die Außerirdischen Deutschland von oben an der Zahl der Mülltonnen vor unserer Tür erkennen können. Und weil dieser Blogeintrag ohnehin kompliziert ist und von wilden gedanklichen Schlenkern lebt, zum Schluss noch einer:
Da diskutieren wir zur Zeit in diesem Land, ob Windräder die Landschaft verschandeln und den Blick vom Balkon versauen? Wie lächerlich. Das Stadtbild wird heutzutage viel mehr von Mülltonnen geprägt als von Photovoltaik-Anlagen. Das sollte mal auf Seite eins der Zeitungen stehen.
Kirsten Brodde, Blog-Gründerin und Autorin von "Saubere Sachen", hat das Thema Ökomode quasi aus dem Nichts entwickelt. Sie arbeitet als Greenpeace Detox-Campaignerin bei Greenpeace Deutschland. Hier finden Sie alle Artikel von Kirsten . |